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Literarisches Arbeitstagebuch

Ab Anfang Mai startet hier das literarische Arbeitstagebuch des Stadtschreibers.

31. August 2023: Dankeschön Norderstedt

Für vier Monate, Dich kennenlernen zu dürfen. Euch kennenlernen zu dürfen. Für die Wahl, mich zu Eurem Stadtschreiber zu ernennen. Für das herzliche Willkommen-heißen. Für das Einladen, an Eurem Leben teilzuhaben. Für das Unterstützen der Stadtschreiberideen. Für die Wohnung, die Ihr mir gestellt habt. Für die nette Vermieterin. Für die Pferde vor meinem Fenster. Für das Fahrrad mit der Nummer 6, das Ihr mir gestellt habt, um Eure Stadt zu erkunden. Für das Erkunden-dürfen. Für das Erkunden-lassen. Für das Mir-Schreiben und für das Mich-mitnehmen. Für das Mir-die-Stadt- zeigen. Für das Schreibatelier im Musikschulkubus, für den Platz im Park und für den Strandkorb. Für die Klingel im Strandkorb. Für das Klingeln am Strandkorb. Für das Mit-mir-im-Strandkorb-sitzen. Für das Mit-mir-durch-den-Park-gehen. Für das treue Publikum bei der Lesereihe. Für die schönen Stunden. Für die anregenden Gespräche. Für die Geschenke, die Ihr mir zugetragen habt, gleichfalls emotionale. Für die Zeit, die Ihr mit mir verbracht habt. Für das regelmäßige Lesen der Arbeitstagebucheinträge. Für das Über-Euch-schreiben-dürfen. Für das Über-mich-schreiben. Für das Über-mich-lesen. Für das Ansprechen auf das Gelesene. Für das Mich-Filmen und für das Ansehen des Gefilmten. Für das häufige Grüßen auf der Straße. Für das neugierige Fragen-stellen. Für das Ertragen meiner Neugier und meiner Fragen. Für Euer Interesse. Für das Verständnis, wenn ich mal keine Zeit für Euch hatte. Für das gemeinsame Feiern Eurer Feste. Für das gemeinsame Feiern meiner literarischen Feste. Für die Herzlichkeit. Für den Sonnenschein und die Regentage. Für die Eindrücke und Erinnerungen, künstlerisch und zwischenmenschlich. Für das Leben im Ort. Für den lebhaften Ort. Und für die Einladungen zur Rückkehr. Dankeschön Norderstedt! Tschüss, bis bald, Euer Stadtschreiber.

29. August: Der Stadtschreiber lädt ein ... zum Abschied

Beim letzten Mal lud ich die Autorin Ella Marouche ein, die ich am längsten kenne, diesmal wird es das letzte Mal sein, dass ich als Stadtschreiber einlade, aber dafür diejenigen Künstle*innen, die ich am kürzesten kenne. Die Norderstedter. Künstler- und Bürger*innen. Zur Lesung, zum Gespräch und zum Abschied. Am 30.08.2023 um 19:30 Uhr in der Stadtbücherei in Mitte. Eintritt frei! Im ersten Monat meines Aufenthalts sprach mich eine ältere Dame auf der Vernissage von „Mit dir bin ich ich“ im Stadtmuseum an und lud mich ein, sie näher kennen zu lernen. Eine Autorin, die den ersten Kulturpreis der Stadt gewann. Eine spannende Begegnung, beim ersten wie jedes Mal, wenn ich ihr erneut begegnet war. Auf Lesungen zumeist. Beim Abschied wird sie eine ihrer Geschichten lesen, up platt. Oder vielmehr vortragen, frei, weitestgehend auswendig wird sie diese präsentieren, wie es viele im Ort begeistert von ihren Darbietungen berichteten. Sie selbst sagt dazu mit einem Schmunzeln, das müsse sie ja, weil ihre Augen nicht mehr gut genug sind. Trotzdem hält sie ihre Stadt weiterhin aufmerksam im Auge: Christa Heise-Batt. Bei diversen Veranstaltungen innerhalb der Lesereihe „Der Stadtschreiber lädt ein ...“ traf ich die Norderstedter Autorin, die ebenfalls zu meinem Abschied kommen wird. In der Kirchengemeinde Friedrichsgabe traf ich sie und ihre Schreibwerkstatt-Kolleg*innen, mit viel Prosa und noch mehr Geplauder. Es war ein literarisches Fest. Das ich gern weiterfeiern möchte, zu meinem Abschluss in der Stadt. Deshalb habe ich sie zur letzten Veranstaltung der Stadtschreiber-Lesereihe eingeladen, und sie hat zugesagt, eine Kurzgeschichte mitzubringen: Ingrid Weißmann. Die Einladung zum Abschied geht weiter, der Abend wird weiter gehen: Nach der Kurzprosa wird es ein Kunstgespräch geben, das Publikum, die beiden Autorinnen im Publikum, und fünf weitere Künstler*innen der Stadt werden über das Kulturleben in Norderstedt diskutieren. Es haut jemand Steine, baut sie auf, verteilt sie, bekam dafür ebenfalls schon den Kulturpreis der Stadt. Ihm begegnete ich erstmals zufällig, bei einem Foto- und Interviewtermin mit der ansässigen Kulturjournalistin. Weil ich nicht allein im Strandkorb sitzen sollte, wurde er gefragt, ob er sich mit mir darin ablichten lassen wolle. Wollte er. Wie es später in der Zeitung stand, ein zufälliges Treffen im Park. Das anschließend noch fünf Stunden weiter ging, mit anregendem Austausch über das Dasein als Künstler, plus Fotos von Bildern, eindrucksvollen Steinarbeiten, Kunst im öffentlichen Raum und Skulpturen in der Stadt und in Nachbarorten. Ein kreativer Genuss, der ebenfalls in der Stadtbücherei am Mittwochabend zu erleben sein wird, mit Thomas Behrendt. Im Gespräch. Nicht nur zwei Autorinnen aus der Stadt werden beim Abschied lesen, sondern einer wird mit den Gästen und mir diskutieren, über Möglichkeiten und Schwierigkeiten von künstlerischer Arbeit im Ort. Ihn erlebte ich bei der Release-Präsentation seines neuesten Kriminalromans „Cyberrat“, den er in der Stadtteilbücherei in Garstedt vorstellte. Keine Abkühlung am heißesten Tag des Jahres, mehr ein Anheizen, durch Handlung und Charaktere des Romans. Lokal verortet in Norderstedt und in Hamburg. Hier im Ort erlebte ich ihn direkter erst später, an dem Schwitztag sprach ich ihn nicht an, er signierte eifrig Bücher und plauderte mit seinem Publikum. Da wollte ich nicht stören, zumal mir zu heiß zum Reden war. Mitte Juli kam er zur Release-Party meines Romans ins Stadtmuseum. Wir plauderten. Angenehm. Eine Freude, dass er die Einladung angenommen hat und kommen wird: Matthias Asteroth. Anfang Juni wurde ich eingeladen, um ein Musikevent im Stadtpark zu erleben. NORDwind. Und es war ein überaus abwechslungsreiches Erlebnis, fast nur von Blasmusik beschallt. Von diversen Filmmelodien bis zu klassischen Themen wurde alles gespielt, bei ausgelassener Stimmung der Zuhörerschaft auf den Rängen der Waldbühne. Ein Genuss. Auch in kleinerer Formation am See. Applaus. Für die Frau am Saxophon, in der Gesprächsrunde: Imke de la Motte. Vom NORDwind schlich ich mich schweren Herzens früher davon, um zuerst rechtzeitig bei der Vernissage der Jahresausstellung des Kunstvereins zu sein, und mich anschließend ins Pure Theater zu stürzen. Wozu ich mich selbst eingeladen hatte, um den Herrn Stein in „Des Wahnsinns fette Beute“ zu erleben. Ebenso alle anderen Rollen, die eine bunte Mischung aus jungen und älteren Schauspieler*nnen auf die Bühne ins Kulturwerk brachte. Erneut Applaus. Anschließend gab es noch eine Social-Media-Aufnahme mit mir und der Tochter des Darstellers des Herrn Julius Stein, den ich nun am Abend meines Abschiedes in der Stadtbücherei zum Gespräch empfangen darf: Michael Scharbert. Zudem wird eine weitere Kulturpreisträgern dabei sein, die Künstlerin, deren Werke bis Ende des Monats im Stadtmuseum ausgestellt waren, die dort im Juli ihre Vernissage feierte. Umwerfend schön und eindrucksvoll. „Ein Blick zurück nach vorn“. Das wird sie auch in die Gesprächsrunde mitbringen. Nicht als eigene Schnittkunstwerke oder Gemälde ihrer Mutter, wie im Museum zu sehen war, sondern in Gedanken an das künstlerische Leben in Norderstedt. Ein ums andere Mal waren wir uns begegnet, um mehr voneinander zu erfahren, bei meiner Lesereihe und auch am Tag ihres Offenen Atelier. Und nun zum Abschluss meines Aufenthalts: Beatrix Berin Sieh. Gern hätte ich noch viel mehr Personen und Persönlichkeiten aus dem Ort eingeladen, noch mehr Kulturpreisträger*innen und andere Künstler, von anderen Schreib- und Theatergruppen, von Bands aus dem Ort und aus weiteren Ateliers, engagierte Bürger*innen der Stadt, die ich im Laufe meiner Zeit kennen gelernt habe, aber auf der Bühne ist nur Platz für fünf Gäste. Alle anderen, hoffe ich, in den Stuhlreihen davor sitzen zu sehen, auch für das Gespräch, denn das Publikum soll mitmachen. An meinem letzten Abend in Norderstedt, den ich mit einer kurzen Passage aus meinem Roman und einem herzlichem „Tschüß, bis bald!“ beenden werde.

28. August: Letzte Feiern in Norderstedt vor dem Abschied

Einen Spaziergang durch den Stadtpark soll es irgendwann geben, mit literarischen Beiträgen zu den Lieblingsorten der Norderstedter Schriftsteller*innen. Der erste Autor, der einen Feiertext über seinen Lieblingsparkort ins Mikro und in den digitalen Speicher las, war der Stadtschreiber. Noch rechtzeitig vor dem Amtsende. Welcher Ort literarisch von ihm gefeiert wurde, wird irgendwann zu hören sein: Beim literarischen Spaziergang durch den Park. Zu hören war ein letztes Mal für ihn Rockmusik im Musicstar, er Will Hoge hören, also wollte und hörte. Ein letztes Mal in Harksheide. Das einzige Konzert in Deutschland des amerikanischen Sängers. Eine musikalische Feier, vor vollem Haus, mit etwas Bewegung im Publikum. Mit etwas mehr Bewegung feierte die TuRa ihren Sportverein. Mit guter Laune, Fußball-Minigolf, Hüpfburg, Stabhochsprung, Sumobällen, Tanz und Dutzenden anderen Attraktionen. Eine letzte Feier als Stadtschreiber am Sportplatz mit Hunderten Norderstedter*innen, als ihr Stadtschreiber, inkognito, im Sumoball. Anstoßen auf ein Wiedersehen. Irgendwann, dann als Tourist, als Besucher in der Stadt. Im Park. Beim Interkulturellen Garten. Der sein zehnjähriges Jubiluim feierte. Gemeinschaftlich, ein Festakt. Eine Feier im Kulturwerk, vorn die Ehrengäste, hinten heimlich ein letztes Mal der Stadtschreiber, im vollen Saal, mit Honorationen und Musik. Verlassen vor dem Ende, da ein Kollege Musik mit Wörtern in die Stadtteilbücherei nach Garstedt brachte, den „Klang der blauen Gitarre“ in amerikanischem Akzent präsentierte. Zur Nazi- und Hippiezeit. Eine Feier der Literatur- und Musikreminiszenzen in Prosatönen, ein letzter Akkord auf die Vergangenheit. Zu hören: Eine letzte Lesung vorm Abschied. Zu sehen: Ein letzter Film vor der Nacht, in der Nacht. „Monsieur Claude und sein großes Fest“. Der letzte Kinobesuch, der erste Open-Air. Eine cineastische Familienfeier. Anstoßen mit mittlerweile alten Bekannten. Abbruch aus Müdigkeit zur Pause, vor Ende der Party. Um fit zu sein, für den nächsten Tag: Zum Abschluss eine Schreibwerkstatt, aber fast verpennt, davor ein Dankesfest für das Ehrenamt in der Stadt. Im Kulturwerk. Rechtzeitig aus den letzten Vorbereitungen für die Schreibwerkstatt gerissen, um noch, viel zu kurz, lauter gute Bekannte zu treffen, lauter schöne Begegnungen aus den letzten Monaten. Eine trug höflich einen letzten Besuch an, um über das ehrenamtliche Engagement für das Frauenhaus Norderstedt zu informieren. Hilfe allerorten, im Kulturwerk. Und für die Menschen, im Frauenhaus, als Rettung vor häuslicher Gewalt. Als Rettung vor dem Gewitter auf dem Weg in die Stadtbücherei. Die Erinnerung an einen schmutzigen Engel als lehrreicher Literatenbesuch, kein Kennenlernen mehr notwendig, kein Gast, sondern Kursleiter. Kreatives Schreiben, als Workshop, das erste Mal seit Jahren, für zweieinhalb Stunden, ein letztes Schreibtreffen in der Stadt. Spezial. Mit neuen alten Bekannte. Eine literarische Arbeitsfeier, gemeinsam, mit Kaffee, Wasser und einer Klingel als Schreibanlass für Kürzestgeschichten. In der Bücherei Mitte. Im hellen Licht der dunkle Engel bis zum Abend, in Dutzenden Textfacetten und Prosavarianten. Und beim Schreiben einer der letzten Arbeitstagebucheinträge klingelte es ein letztes Mal, ein letzter Klingelstreich, nicht von Kindern. Zu spät, zu dunkel. Geläut zur Feier, Startschuss für das Ende der Amtszeit, für ein letztes Mal Wandeln durch das Funkeln im Park, ein letztes Getränk an der Funkelbar, wach bleiben für den letzten Moment der Feier, des schönsten Moments aller Feiern, bis zum Absacker, bis der oder die Letzte das Licht ausmachte. Beim ParkFunkeln, vorm Abschiedsfest am Mittwoch, dem letzten mit allen Norderstedter*innen, die dabei sein wollen.

25. August: Dit und dat, wat 'ne Stadt

Vermischtes, Norderstedt-Mix-Tape. Viele skurrile Begegnungen und Beobachtungen im Ort, viele vermutlich durchs Gehirn gesiebt, schon vergessen. Die noch nicht vergessenen, hier kurz notiert. Entstehungsvermischtes: Vier Stadtteile, die eigentlich fünf sind, aber wegen der einstigen Dörfer den fünften nicht zählen lassen, obwohl er seit über dreißig Jahren auf allen Stadtplänen verzeichnet ist. Was ebenfalls auf dem Stadtplan steht, ist die Straße, in der Harry Potter aufgewachsen ist. Hier im Ort, ganz in der Nähe. Vermutlich nutzte er die AKN als Hogwarts-Express. Ohnehin ist es ein literarischer Ort, eine helldunkle Freude für Conan Doyle, Wallace, Christie und Simon Beckett. Ein Gefängnis, das im Moor auf Norderstedter Stadtgebiet liegt, trotzdem ohne direkte geographische Verbindung zu Hamburg gehört. Ob die Inhaftierten beim Ausgang die Sprachrohre benutzen, die über Norderstedt verteilt aus dem Boden ragen? Das metallene Schnurtelefon vom Kindernetzwerk? Gibt es Leitungen bis Hamburg? Vom heimische Dartmoor aus. Der offene Vollzug liegt außerhalb. In der Bauweise der Weimarer Zeit. Rotklinker errichtet lange vor den meisten Gebäuden der Stadt, vor Gründung. Auch die Kirchen sind Neubauten, eine heißt Schalom, was niemanden verwundert. Friede sei ja schön und das Alte-Testament doch ursprünglich auf hebräisch geschrieben. Stimmt, aber diesen ökumenischen Gedanken haben die lateinischen Kirchen sonst selten bedacht. Bislang. Außer in Norderstedt. War es einst ebenfalls ökumenisch gedacht, als die Stadt nach der Gründung im Kreis Segeberg verortet wurde, obwohl die Ursprungsgemeinden nach Stormarn und Pinneberg gehörten? Gelegen auf einem und um einen Berg, auf dem schon lange keine Falken mehr nisten, der sich durch die halbe Gemeinde zieht, als Name, weniger als Anhöhe. Vom Hügel, der keinen Namen trägt, auf dem Magnus steht, unter dem der Abraum und Müll des alten Kieswerks lagern soll, wie es heißt, fährt man ins Tal zum Berg, der als solcher bezeichnet wird. Greifvögel haben ihn wohl zu höheren Zeiten noch gesehen. Doch es gibt ja auch einen Heidberg, der mit dem Fahrrad leicht zu erklimmen, aber als Erhebung schwer zu finden ist. Auf den leichter sichtbaren Hügel ohne Namen führt die Stormarnstraße, direkt neben der Theodor-Storm-Straße, eine sprachliche Parallelität ohne Reimeffekt. Am Ende der einen Straße mit Storm liegt der bunt genutzte Parkplatz vom Stadtpark. Dass ein Park Plätze beinhaltet, ist nicht neu, doch der Parkplatz vorm Park ist fast ein Reim mit Teekesselchen-Redundanz. Wenig wahrgenommen. Von den Besuchern, die morgens schon die Hälfte des Platzes des Parkplatzes vorm Park nutzen, bei jedem Wetter, und unzählige Grills aus ihren Kofferräumen räumen, die sie über den Park zu verstreuen, um ihr Parkessen darauf kohlezubruzzeln. Auf der anderen Hälfte des Parkplatzes lassen zeitgleich diverse Fahrschulen Schüler in Parklücken einparken oder Motorräder im Slalom fahren. Bei jedem Wetter. Nachmittags kommen weitere, andere Schüler auf dem Parkplatz an, lüften Koffer aus den Kofferräumen. Die Elterntaxen halten nur kurz, fahren keinen Slalom, sondern im Bogen wieder vom Platz. Während die Ausgestiegenen ihre Koffer in den Musikschulkubus schleppen, die Instrumente herausholen, stimmen und mit Anleitung ertönen lassen. Bis ihre Erzeuger wieder vor der Tür auf dem Parkplatz halten und eigene Hupsymphonien über den Platz schicken. Abends treffen sich dann die älteren Geschwister, die ehemaligen Musikschüler, auf dem Platz, selbstfahrend, oft querstehend, mit offenen Autotüren und meist lauter Musik. Nicht mehr selbst gespielt. Andere Instrumente werden wichtiger. Hoffentlich nüchtern bedient. Gespielt, gepostet. Vor der Tür zum Musikschulkubus lassen sie gelegentlich die Reifen quietschen. Auf dem Parkplatz. Rasend. Auch die Motorradfahrer, die dies am gleichen Ort gelernt haben. Viel genutzt, der Platz. So wie der Literaturplatz am Eingang zum Park. Ohne dass die Scharniere quietschen. Vom Bücherschränkchen, wo viele nach Lesestoff stöbern. Oder eigenen und ausgelesenen hinbringen. Über Sommer wurde noch ein alternativer Ablageort genutzt, sofern das Schränkchen mal voll war, im und am Strandkorb, an dem in vier Monaten zweiundvierzig Mal als Kinderstreich geklingelt wurde. Don't panic! Trotzdem: Vor der Antwort des Stadtschreibers liefen fast alle weg. Bis auf das Kinderpärchen, das wissen wollte, was ein Stadtstreber so mache, womit sie schon längst nicht mehr die Ersten waren, die diese Frage stellten, aber dafür den Anfang einer Liste von Bezeichnungsvariationen des Amtes begründeten. Es folgten in der Stipendienzeit weitere, folgende: Stadtschleimer, Stadtstreicher, Stadtsprecher, Stadtstreiter und Chefschreiber. Zuweilen von allem etwas, aber am besten passt noch der Begriff: Stadtschreiber. Und was der so macht, wurde nicht nur den fragenden Kindern, sondern ebenfalls im Arbeitstagebuch geklärt. Und bei Tausend anderen Gelegenheiten im Ort. Die Antwort auf die zweithäufigste Frage, die nach der schönsten Begegnung, ist online bereits zu lesen gewesen. Somit aufgeklärt. Anders als das Rätsel, weshalb an die Tür des Schreibateliers geklopft wurde. Es waren Heizungstechniker gewesen, geschickt, um herauszufinden, ob der Stadtschreiber Probleme mit der Klimaanlage habe. Habe er nicht, er habe gar keine Klimaanlage im Raum, antwortete er irritiert. Es war ein heißer Tag, das Fenster stand offen. Wäre ja sonst blöd. Stimmt, war die Antwort, es gebe im ganzen Gebäude keine Klimaanlagen. Das wüssten sie. Aber sie seien schließlich mit dem Auftrag geschickt worden, weil eine als kaputt gemeldet worden war. Eine von keinen Klimaanlagen im Gebäude. Und die müssten sie dringend finden. Fanden sie nicht, denn ein anderes Technikerteam kam eine Woche später erneut, mit dem gleichen Auftrag. Klimawandel. Bei vermutlich gleichem Ergebnis. Keinem. Mit nur einer Wiederholung gehörte ihr Anliegen gewiss nicht zur Kategorie der häufigsten in Norderstedt. Im Gegensatz zu drei Hauptfragen, die irgendwie eine sind, und den dritten Platz errangen: Was machen Sie beruflich? Was machen Sie, wenn Sie wieder in Essen sind? Wovon leben Sie? Ganz einfach: Vom Schreiben als Schriftsteller. Was jede/r unterstützen kann, mit Käufen von Büchern und Eintrittskarten im Theater. Apropos Bücher. Die Gelesene-Bücher-Bringer, die den Stadtschreiber mit dem Bücherschrank verwechselten, haben nicht am Strandkorb geklingelt, obwohl die zwischenzeitlich geklaute Funkklingel nicht nur ersetzt, sondern von den Dieben sogar zurückgebracht worden war. Die Mitbringsel der Altbücherboten lagen bloß in Papiertüten. Am Strandkorb. Für später. Für den Stadtschreiber. Im Musikschulkubus. Die er in das Schränkchen einsortierte. Für sie. Für Norderstedt. Werke, die er nicht einsortieren musste, sondern nach dem Abschied von den Angestellten der Stadtbüchereien in die Bestände zurückgelegt werden, waren die persönlichen Leseempfehlungen aus der Bibliothek, die auf dem Regalbrett im Schreibatelier für ihn zur Ankunft aufgestellt worden waren. Die er durchblätterte, las, zur Hälfte. Dann begann der Mai seine zweite Hälfte und der Stadtleser kam nicht mehr zum Lesen. Und wenig zum Schreiben. Neben den Bildbänden sind nur eine Handvoll Romane in die Lektüreerinnerung übergegangen. Schade. Aber alle kehren für die Neugierigen der Stadt zurück in die Bücherei. Fein. Nicht in Papiertüten, dafür in die Regalwände der Ausleihstationen. Einen Titel davon nimmt der Stadtschreiber jedoch mit, weil er ihn von der Autorin geschenkt bekam. Wie so vieles von Besuchern und jenen, die er besuchte. Vor allem Wein, Eintrittskarten und Bücher. Einen Baum und einen Stein. Zudem viel Zeit und schöne Gespräche. Ein herzliches Dankeschön an alle. Um das Gewicht auf dem Rückweg zu erleichtern, sind die Flaschen längst ausgetrunken und die Eintrittskarten eingelöst. Logisch. Die Bücher werden die eigenen Regale daheim füllen, für den Baum wird ein neues und sicheres Zuhause gesucht, hoffentlich noch hier, denn die vierte Etage in Essen ist sicher kein gutes Stockwerk für die Wurzeln eines Mammutbaums. Und der Stein wird in der Hosentasche stecken, wenn der Zug nach dem Abschiedsfest die Stadt gen Süden verlässt. Mit einem ganz privaten Norderstedt-Mix-Tape im Gedächtnis des Stadtschreibers.

24. August: Norderstedt lässt es funkeln im Park ...

... nur für mich. Drei Tage zum Reinfeiern, bis zu meinem Geburtstag. Was für eine Ehre. Damit es mir nicht peinlich ist, benennen sie es nicht nach mir, sondern dezent nach dem Ort und der Aktion. Dankeschön. Wie zuvorkommend. So diskret und trotzdem fulminant illuminierend. Als wäre es für die große Masse gemacht. Aber die Hinweise sind eindeutig, Schreibmaschinen, im Zwielicht der Begegnungen. Für den Stadtschreiber, für wen sonst? Die Verwaltung des Parks, die das Spektakel für meinen Festtag organisierte, hat sogar daran gedacht, es bei Nacht auszurichten, damit ich mich halbwegs inkognito durch das Treiben treiben lassen kann, ohne zigtausendfache Glückwünsche entgegen nehmen zu müssen. Ein Lichtermeer aufgebaut für mich, gespiegelt in der Natur, keine gewürfelten Zufälligkeiten, sondern leuchtende Attraktionen, ein farbenfroher Engelsanblick. Ein menschlicher Pfau der guten Laune umtanzt mich, zu den vielen Bands, die für mich eingeladen wurden, um mir ein, zwei, drei, vier, fünf, ja, hundert Ständchen zu bringen. Wunderschön. Hug it out. Fallt Euch in die Arme, Norderstedter*Innen, im Weingarten, wie im gesamten Park. Für mich. Es ist mir ein Vergnügen. Eine Torte hätte gereicht, aber die Stadt will sich ja nicht lumpen lassen und lässt die kreativ recycelten und bemalten Dinge ebenso wie die Natur drum herum kunstvoll erstrahlen. Erneut Hinweise mit Eindeutigkeit, Kreativität und Kunst in neues Licht zu werfen, zu Attraktionen einzuladen. Jeder weiß natürlich, wer gemeint ist, der Stadtschreiber. Und trotzdem nicken mir viele nur freundlich lächelnd zu. Bunte Schatten als Zeichen der lebhaften Huldigung. Was für ein Vergnügen, in dieser Stadt der Stadtschreiber sein zu dürfen. Wo mein Geburtstag nur der Höhepunkt, der Zenit der Feierlichkeiten war, und ist. Es geht weiter, das Fest, mein Fest, ab heute bis nächsten Sonntag, stets nach Sonnenuntergang, als Ankündigung für mein Verlassen des Ortes, für meinen Abschied, um es mir umso schwerer zu machen. Der Park wird wieder funkeln. Immerzu. Nur für mich. Und meine Gäste. Für die Norderstedter. Mit einem Feuerwerk, dass ich fest erwarte, auf dem Lichterfest zum Abschluss, damit jede/r weiß, am Mittwoch darauf wird die Zeit vorbei sein. Für mich, wird es enden. Mit einem weiteren Fest, in der Bücherei, ausgeleuchtet, im Gespräch mit Künstler*Innen, die ich kennen lernte. Hier. Norderstedter*Innen, die mich auch im  Park haben funkeln lassen. Im Strandkorb. Ein letztes Stadtschreiberfunkeln, ein Norderstedter Huugfunkeln, vor dem Tschüss!

23. August: Was war die schönste Begegnung als Stadtschreiber in Norderstedt?

Dies ist die am zweithäufigsten gestellte Frage in meiner Zeit als Stadtschreiber. Ich beantworte sie an dieser Stelle ganz kurz. Ungewöhnlich kurz für mich: Eine schönste Begegnung kann und will ich weder auswählen noch benennen. Weil es dermaßen viele schöne Begegnungen gab, wäre es unfair gegenüber allen anderen Begegnungen. Aber es gab und gibt jeden Morgen eine, mit der kein Mensch in Schönheit konkurrieren kann. Nicht einmal die Norderstedter. Wobei die Wesen, die ich morgens erblicke, wenn ich die Gardinen aufziehe, ebenfalls Norderstedter sind. Guckt selbst, wie schön!

22. August: Kontaktversorgung

Gleich morgens nach dem Aufstehen nutze ich sie, hier im Ort, ich koche mir Kaffee, checke Mails und schicke meinen neuesten Eintrag des Arbeitstagebuchs raus, bevor ich mich wasche und auf das Fahrrad setze, um rechtzeitig zum Termin zu erscheinen. Gleich mehrfache Kontakte noch vor dem direkten in der Mitte. Indirekt und teilweise sogar durch das Fahrrad. Ein städtisches Unternehmen werkelt daran, nicht nur die Versorgung der Stadt in vielen Bereichen aufrecht zu halten, sondern ihre Gewinne ermöglichen partikular ebenfalls, dass ich als Stadtschreiber und auf dem Fahrrad hier unterwegs sein kann. Am Ende des Monats und meines Stipendiums, morgens nach dem Abschied, wird die letzte Strecke in der Stadt, die erste der Rückreise ebenso auf ihren Gleisen zurückgelegt werden. Werde ich sie auf ihren Gleisen zurücklegen. Fast allen Kontakten, denen ich seit Ankunft digital an- und zurückschrieb, war ihre Adresse gemein. Das selbstironisch spöttische „Buddeln und Rechnungen schreiben“ ist das Erfolgskonzept, seit über hundert Jahren. Fast mono ist das Lokale von Oligo für die Kommune gepolt, ewig im Wandel. Über die Stadtgrenzen hinaus. Kurze Wege. Im Betrieb, im Service, bis in die Beschwerdestelle, vor Ort, und auf dem Weg zu ihnen. Mit dem Fahrrad. Unfallfrei. Bis in die Kantine. Bei Wasser und Kaffee, deren Grundzutat ... Genau: Wasser. Aus dem Betrieb. Nicht das Röstgut, wobei die Energie zum Rösten wiederum ... Egal. Freundlich werde ich empfangen, wie bei vielen Begegnungen im Ort von einem „Ur-Einwohner“, einem für die Öffentlichkeitsarbeit, der einst zum Studium wegzog und dann zurückkehrte. Eine Geschichte, mit der ich in den letzten Monaten häufig in Kontakt kam. Die ich mittlerweile mit Norderstedt in Verbindung bringe. Eine Heimatgeschichte. Weil es sich hier gut leben lässt, sagt er, wie so viele. Was ich bestätigen kann. Lokal aufgestellt. Er informiert mich über die Firmenstruktur und deren Bilanzen. Sogar die Idee mit den Morgenkontakten wird mir geliefert. Zu schön, um sie nicht zu verwenden. Billig, von mir. Naheliegend. Überall. Vertreten. Mehr als das Foyer, ein paar Gänge und die Kantine sehe ich nicht, aber hier darf ich kurz kleben bleiben, um zu hören, welche Netze durch Stadt gespannt sind. Zur Versorgung. Mit gutem Grund. Außerdem ein wenig buddeln darf ich, Fragen stellen. Denen Rechnung getragen wird. Völlig kostenlos. Trotz Energiekrise. Kaum im Gespräch. Über Verständnisse von Nachhaltigkeit, von Zukunftsmodellen, das Leben in Norderstedt und den ganzen Rest. Neue Kabel werden durch die Schächte der 90er geblasen, wie die Ballen in meiner Kindheit auf den Strohboden. Bis der Speicher voll ist. Meiner. Nach dem Abschied überlege ich, ob ich für die vollumfängliche Versorgung nicht ins Freizeitbad fahren soll. Lass es bleiben, kaufe ein, radle in den Stadtpark und frage mich, welche Schraube an dem Drahtesel wohl vom letzten Kontakt finanziert worden war. Partikular. Blödes Eselwort, ich muss dringend nach einem Synonym im Netz suchen. Und wieder: Über Kontaktversorgung vor Ort. Monothematisch im Ort. Sicher versorgt. Bis in den Park.

21. August: Aufbauen und Reparieren

Unterstütze das Dasein aller, und das Leben wird dir helfen. Gemeinsames Aufbauen der Zukunft. Im alten Rathaus von Glashütte wird es organisiert, für alle, die mitmachen wollen. Immer auf der Suche nach Hilfe. Für das große Angebot. Jede/r ist willkommen. Seit Jahrzehnten. Handicaps sind hier Bereicherungen. Des Lebens. Hürden werden abgebaut, brüchige Wege repariert, mit Musik, Theater, Gartenarbeit, Werkstätten, Fortbildungen, gemeinsamem Leben, Sportfestivals, Ausflügen, Backen, Kochen, Quatschen, und vor allem mit einer Menge Spaß! Vor Ort und von Glashütte aus über die ganze Stadt verteilt, Lebenshilfe. Von Garstedt aus wird der Aufbau der Bildung über die ganze Stadt verteilt, an zwanzig Schulen, für den Nachmittag, um Lücken im Alltag zu reparieren und zu schließen. Gemeinsames Aufbauen der Zukunft. Für das große Angebot, jedes Kind ist willkommen. Als Bereicherung. Zur Hilfe bei Handicaps. Für das Leben. Seit einem Jahrzehnt. An jedem Standort garantiert, von zweihundert Mitarbeitern: Musik, Theater, Gartenarbeit, Spielstätten, Fantasiebildungen, gemeinsames Leben, Sportvergnügen, Ausflüge, Basteln, Kooperationen, Quatschen, und vor allem eine Menge Spaß. Hürden werden abgebaut, brüchige Wege repariert. Vor Ort und von Garstedt aus über die ganze Stadt verteilt. Baut Eine Brücke. Unterstützung des Daseins, dem Leben wird geholfen. Um im Leben zu helfen, trifft man sich regelmäßig in Harksheide, auf dem Kirchenplatz. Handicaps werden hier hergebracht. Werden wieder zur alltäglichen Bereicherung. Unterstützung im Dasein, im Überleben der Geräte. Zusammensetzen mit Kaffee. Hürden werden abgebaut, brüchige Dinge repariert. Gemeinsamer Aufbau der Zukunft und Weitergabe von Funktionswissen. Immerfort zum Aufhalten des Vergehens. Bei allem, was man noch braucht, bei Musikinstrumententastenklemmen, Toastanbrennen, Gartenscherenrissen, Spielzeugbrüchen, Fashionrichten, und vor allem für das Elektrogeräteweiterleben. Immer sportlich beschaut, auch mit Ausflügen auf den Schrott. Backen, Kochen, Quatschen, mit den Menschen, die handwerkliche Unterstützung benötigen. Gemeinsam: Reparieren im Café. Mit einer Menge Spaß. Alle acht Wochen. Vor Ort in Harkseide, für die ganze Stadt. Unterstützung im Dasein, Hilfe beim Überleben.

18. August: Herzlettern

Bestellbar, bis zum nächsten Tag. Bücher. Organisiert und verwaltet vor Ort. Frisch gedruckt, wie bestellt. Erst im Ort, seit März vierhundert Kilometer entfernt. Fünf Letternherzen schlagen dort, zigtausendfach pumpen sie Lesestoff auf die Bahnen, verteilen sie über den Schmökerkörper der Republik. Über Nacht. Tagsüber arbeitet das Unternehmenshirn in Norderstedt, hält sie am Laufen, die Lettern, und die Leser am Lesen. Am Buch. Mehr als zehnmal so viele Drucktitel speichert das Lektürecerebrum als Menschen in der Stadt leben. Lesen. Immerzu: Zum Abruf bereit. Romane, Kinderbücher, Sachbücher, sogar medizinische. Für dreizigtausend Selbstverleger und tausende Verlage. Bei Abruf in zwei Stunden fertig, direkt in die Bücherkiste und in die Auslieferung. Auch „Elbaufwärts fließt bei Ebbe die Ruhr in die Spree“ pumpt das Letternherz für meinen Verlag durch das Land. Von Norderstedt aus koordiniert, im Sprachzentrum der Wörter und Werke. Mitten im Gewebegebiet der ansässigen Gewerbe in Garstedt. Egal, ob das Literaturleben auf Deutsch, Englisch, Französisch, Dänisch, Spanisch, Schwedisch oder in anderer Leseweise in den Kreislauf gepumpt werden soll, für alle gibt es vitale Sprechzellen vor Ort, um der Literatur den erweckenden Atem einzuhauchen. Lektoriert. Und zum Hören. Selbst verlegt oder vom Verleger herausgedrückt. Gedruckt. In Papierhäuten, Deckel an Rücken, in stärkenden Geweben. Ökologische Bahnen, am Anspruch bemessen. Eines für einen, eines für eine. Bücher auf Bestellung, mit anderen Büchern ausgeliefert. Gesteuert vom Lektürehirn am Rande des Stadtkorpus'. Herzlettern mit Herzflattern bei Erscheinen. Zigtausendfach jedes Jahr.

17. August: Ich bin käuflich ...

... wenn es mir gefällt. Und wenn man mich bestellt. Im August wollte ich mir die Gewerbe im Ort anschauen, erleben, genießen. Tue ich, ich schaue. Vier Buchhandlungen, vier Stadtteile, keine Gleichverteilung, einer geht leer aus, eine Rechnung mit Lücke. In Norderstedt in Glashütte. Mit dem Rad nach Garstedt, über den Schmuggelstieg schmuggel ich mich inkognito in den ersten Schmökerhöker hinein, elatus, genau, erhabenen Gemüts schlängele ich durch meine Welt. Bücher. Überall, ausgesucht von Lesegenoss*innen, einsortiert und präsentiert. Und empfohlen. Angenehm. Still. Zuvorkommend. Ich stelle mich vor, plaudere, ich stelle mir vor, wie ich selbst viele Jahre im Himmel der Geschichten gearbeitet habe. Heute wie damals, hier wie dort, die konkurrierenden Mitbewerber sind die gleichen geblieben. Vor Ort in der quirligen Konsumzentrale untergebracht. Identisch im angepriesenen Medium, unterschiedlich in der Auswahl, größer in den Mengen, die jeweils angeboten werden, weniger Abwechslung auf den Raum verteilt. Die Bestsellerhöker im Laden fragen nach meinen Wünschen, geschult und versiert. Freundlich. Angenehm im Überfluss der Stapeltitel. Top secret suche ich meine eigenen Werke, finde sie nicht, weder in den Regalen noch auf den Tischen, keine Spitzenverkaufswerke, literarische Geheimtipps vom stadtbekannten Stadtschreiber. Bestellbar, klar, und überall gleichschnell. Zu bestellen brauche ich sie nicht, habe sie ja selbst geschrieben, und könnte sie an der nächsten Lektürehandelstüre sofort erwerben. Direkt am Rathaus, in der Mitte der Stadt. Auch hier engagierte Schmökerhöker, diesmal werde ich sofort erkannt, weil man mich schon seit drei Monaten kennt. Auch hier plaudern wir. Über Bücher, weil man mich ja schon kennt. Über Lieblingsbücher, Namen, Titel, Schwärmereien, über meine Welt, über deren Welt. Über die Welt des Lesezeichens. Wohin man mir den Weg erklärt, damit ich alle besucht habe, die ich aufsuchen wollte, heute, die ich mir anschauen will. Die letzte Buchhandlung an diesem Tag, die letzte im Ort, in Friedrichsgabe, noch eine Literaturausgabe in der Stadt, eine für jeden Stadtteil, bis auf Glashütte. Die Blicke sagen, dass man mich erkennt, der Flyer zu Lesereihe „Der Stadtschreiber lädt ein ...“ liegt direkt am Eingang. Beratungsangebot, angenehm freundlich, zuvorkommend. Dankbar lächele ich, stelle mich nicht vor, bin müde von so viel Literatur. War zwischendurch noch in der Stadtteilbücherei gewesen. In Friedrichsgabe. Da erkannte man mich, logisch. Büchergespräche. Dort. Hier: Die Blicke sagen, man kennt mich. Draußen, auf den Wegen durch die Stadtteile sagten an diesem Tag nur fünf, sie würden mich kennen, erkannten mich und sprachen aus, wer ich bin. Hier, in meiner Welt, schweigt die Schriftgüterkauffrau diskret. Ich tue es ihr gleich. Nur ein „Tschüß“ purzelt mit Schmökerhall durch die Regalwände bei Verlassen der käuflichen Wortkunstwelt. Es gefällt mir.

16. August: Schnittstellen

Eigentlich wollte sie mir von der Geschichte Harksheides erzählen, wollte dazu Bücher mitbringen, dann saßen wir nur im Strandkorb und haben stundenlang gequatscht. Auch über Harksheide, aber mehr über die Gegenwart des Stadtteils. Und noch mehr über das Leben, die Erinnerungen und die Erwartungen an die Zukunft. Mit wenigen dunklen und sehr vielen hellen, bunten Schnittstellen, die im Stadtpark zum Leben erweckt wurden. Im Gespräch, Gedanken über und Aussichten auf das Heute und das Morgen. Gleichfalls in Rückblicken auf das Gestern. Über das Schreiben und über Kunst. Das Gespräch führte ich weiter, am nächsten Tag, in der Stadtmitte, mit noch mehr Schnittstellen, zwischen noch mehr Kunst. Überall verteilt, im Garten, im Haus, im Atelier, im Wohnzimmer, im Leben. Beeindruckende Schnittwerke neben quadratischen Farbspielen und oben ein Himmel aus Blumen von der Mutter, darunter schwarzer Regen aus stilisierten Schriftzeichen, ein Wirbelsturm der Eindrücke. Wie im Stadtmuseum. Nur hier mit mehr inhaltlicher Nähe zur Künstlerin, ein Fest im offenen Atelier. Kunst zum Leben erweckt. Im Gespräch, Gedanken über und Aussichten auf das Heute und das Morgen. Gleichfalls in Rückblicken auf das Gestern. Über das Schreiben und über das Leben als KünstlerIn. Im Ort. Nähe mit Schnittstellen. Nähe will der Mann schaffen, der am Strandkorb vorbeikam, Nähe zur Kultur, die er veranstaltete, gestern, ein paar Schnittstellen in Orga und Orten. Morgen will er im Ort mehr organisieren, alles, der politischen Kultur entsprechend. Im Heute. Diejenige, die ihm dafür vieles schreibt, wie sie von sich sagt, begleitet ihn durch die Stadt, führt ihn durch den Stadtpark, gegenwärtig mit seiner Frau, bis zum Strandkorb. Ein Gespräch, Gedanken und Ansichten. Ärztliche Besorgnis und Entwarnung, als sie vom Fahrradunfall auf dem Weg zum letzten Lesefest des Stadtschreibers hörten. Ein offener Aufprall, ein Wirbelsturm der Eindrücke, an Stirn und Braue. Eine Geschichte von gestern. Kein Geheimnis. Oben aus dem Musikschulhimmel war der Mann noch länger mit der Entourage auf der sicheren Bank sitzend zu sehen. Erwartungen an die Zukunft, niemand sieht sie, ohne Schnittstellen mit der boulenden Umgebung, quadratische Politikspiele auf schwarzen Wegen. Ins Morgen. Auf der Pressekonferenz mit Nähe zu Kunst und Kultur wurde der Stadtschreiber vorgestellt, zum Abschied. Nicht im Strandkorb, sondern auf einem einfachen Stuhl im Rathaus. Beschildert, für den engsten Kreis. Wer dabei sein wollte, musste dabei sein, oder am Abend lesen, oder ein Gedicht schreiben, Kunst und Schnittstellen schaffen. Was gemacht wurde. Auf bewegten Bildern, statischen mit Text belebt. Fragen über Norderstedt, über die Gegenwart. Über das Leben in der Stadt, über die Erinnerungen, über den Unfall, ohne Unfälle, ohne Rad, ohne Rat, und über die Erwartungen an die nahe Zukunft, in Essen, vor allem an den Abschiedsabend. Bald. An dem die Schnittstellen mit den Norderstedtern und ihren Künstlern lebendig werden sollen. Im Gespräch, im offenen Austausch. Gedanken über und Aussichten auf das Heute und das Morgen. In Rückblicken auf das Gestern, auf die Zeit in der Stadt. Über das Schreiben, über Kunst. Wie im Rathaus, bei der Pressekonferenz, der Anfang vom Ende. Ohne große Unfälle. Ein schwatzender Regen aus Wörtern, der letzte Eindruck vom Stadtschreiber vorm Abschied wirbelte durch den Raum. Draußen zieht der Himmel auf, für letzte Bilder. Ohne Blumen und Einkaufswagen, mit der Trude. Am Abend ging es weiter, das Fest. Mit der lesenden Gästin, und mit viel mehr Menschen, aus Norderstedt und Friedrichsgabe. Ein Gedankensturm im Sinneswirbel. Eindrucksvoll. Ein Fest mit nicht nur inhaltlicher Nähe zur eingeladenen Künstlerin, die durch das literarische Labyrinth ihres offenbarten Werkes führte. In Friedrichsgabe. Gelesene Schriftzeichen in skurrilen Farbspielen belebten das Publikum. Unterm Himmel, unter dem Lasertechnikhimmel. In der Stadtbücherei. Im Gespräch, Gedanken und Aussichten über das Heute und das Morgen. Gleichfalls in Rückblicken auf das Gestern. Über das Schreiben und über Kunst. Alles hüpft im bunten Regen der Geschichten über die Quadrate der Kindheit. Himmel und Hölle auf dem Friedhof der Schnittstellen. Ein Fest. Prosa. Gestern, heute, morgen. Ohne Entwarnung. Ein Stirnaufprall mit künstlerischen Eindrücken. Applaus!

15.08.2023: Der Stadtschreiber lädt ein ... Ella Marouche

Auf Einladung des Stadtschreibers kommt diesmal die wunderbare Essener Schriftstellerin Ella Marouche. Sie fährt nicht nach Italien, sondern lieber nach Norderstedt. Mit ihrem literarischen Programm im Gepäck, mit dem sie seit letztem Jahr auf Deutschlandtour ist. „Und dann sind wir nicht nach Italien gefahren“, wie so viele in den letzten Jahren. Aber Ella ist trotzdem auf Reisen gegangen, auf Kopfreisen, und bringt dem Publikum literarische Prosa-Souvenirs mit. Zur Lesung am 15.08.2023 um 19:00 Uhr in der Stadtteilbücherei in Friedrichsgabe. Eintritt frei! „Ihre Geschichten sind absurd und bizarr“, schrieb mal die taz, und mir fallen sofort ein Dutzend weitere lobhudelnde Adjektive ein, die ich hier nicht nennen werde, weil es heißen könnte, ich sei voreingenommen. Also überlasse ich das lieber allen Zuhörern, nach der Veranstaltung. Von den Autor*innen, die ich nach Norderstedt einlud, ist Ella diejenige, die ich am längsten und am besten kenne. Seit über zwanzig Jahren. Wir waren einst Kollegen in einer Buchhandlung, und ihr norddeutscher Humor kombiniert mit fantastisch schrägen Gedankengängen gefiel mir sofort. Zu der Zeit noch kollegial und freundschaftlich. Sie wechselte in einen Verlag, und irgendwann zogen wir nach Berlin. Gemeinsam, und mehr als kollegial und freundschaftlich. Die Literatur wurde zu unserem Alltag, zu unserem Beruf, gleichzeitig, gemeinsam und eigenständig. Zusammen schrieben wir Drehbücher, Theaterstücke und einen Roman. Ihre eigenen Prosa- und Lyrikwerke wurden in diversen Anthologien und Literaturzeitschriften veröffentlicht. Ausgezeichnet, sie ist die einzige Autorin, die zweimal zu den Trägern des Walter-Kempowski-Literaturpreises gehörte. In Hamburg veranstalteten wir viele Kulturprojekte, und mittlerweile sind wir in Essen beheimatet. Also ich zur Zeit natürlich in Norderstedt, wo ich mich freue, Ella Marouche als großartige Autorin zur Lesung in meine Stadtschreiberheimat einzuladen: am 15.08.2023 um 19:00 Uhr in die Stadtteilbücherei Friedrichsgabe. Der Eintritt ist frei.

11. August: Gefangen im Netz

Der letzte Steertpogg ist vor Jahrzehnten ins Netz gegangen und abgefischt. Oder abgekaulquabbt. Er spiegelt sich seither in der Heimat wider, in den Erinnerungen an die alten Zeiten, als noch die Torfstecher ihre Moorwaren mit dem steertpoggwackligen Handkarren nach Hamburg schoben und die neuesten Gerüchte aus ihren Markt-Netzwerken von der großen Stadt mitbrachten. Die Moore sind ausgetrocknet, kein Torf wird mehr im Ort gestochen, sondern regionale Nachrichten und Ankündigungen durchgestochen, über das Netzwerk der zigtausend verteilten Wochenblätter. Für jeden Haushalt, für jeden Bürger. Miteinander verwobene Netze machen es möglich, diejenigen, die nach Werbern fischen, um jeden Freitag die Lagerhalle mit der neuesten Ausgabe zu füllen, jene Fische, die sie fangen, um die Ausgabe an Land bringen zu können, welche, die vom Marktplatz der Meldungen die Druckreifen aussortieren, und alle, die den Markt bestücken, bevor das Netzwerk an Verteilern samstags den regionalen Fang, die in Papier gewickelten Nachrichten über die gesamte Stadt ausschütten. Alles, was zudem online im Netz zu finden ist. Wer jetzt hofft, dass die Metapher leergefischt sei, sollte lieber sofort aufhören zu lesen. Im Stadtpark über dem biblischen Weingarten spannt sich ein Netz aus Holzbalken, ein stilisiertes Laubdach mit einem Davidstern darüber, der seinen Schatten auf den Boden wirft, wenn die Sonne scheint, durch das Balkennetz scheint. Umrundet von Stille, den sieben Fruchtpflanzen des gelobten Landes und einem weiteren Netz, einem aus Kräuter- und Blütenvegetation. Ohne Freunde und ohne Gefährten, ohne das Chaverimnetzwerk, würde nichts wachsen, hier nichts wachsen, keine Stille, keine Freunde, keine Gefährten. Bis nach Israel und zurück spannen und überkreuzen sich die Fäden, bilden Knoten und Verbindungen, fischen Freundschaften auf und verteilen ihren Fang als Nahrung des Friedens und des Miteinanders. Steine werden nur als Geschenk ins Netz geworfen, Augenblätter wachsen darauf, dem Stadtschreiber als Präsent im Park. Ein weiterer Knoten, ein weiterer Faden. Ein Klub aus Löwen und wenigen Löwinnen spinnt regelmäßg ökonomische, soziale und politische Fäden, zieht an ihnen, wenn jemand etwas braucht. Gleichfalls für den Besucher, der zum Essen am Nachwuchsfußballtrainingslager eingeladen wird, spannt man das Netz aus, wirft sich Bälle zu, will gute Pässe geben, im Freundschaftsspiel das Runde ins Eckige, bis ins Netz bringen. Nachdem das Mahl abgepfiffen wird, beginnt man zu angeln, nach Gerüchten, Meldungen und Erinnerungen. Erst ein wenig im Trüben, weil es die alte, so häufig verwendete Metapher hergibt. Man nimmt ihn aus, den Stadtschreiber, wirft Erkundigungschwimmer aus, was er so macht, wer er ist, wie und wo er lebt, wie er der Stadt und die Stadt ihm begegnet. Was vom Fang übrig bleiben wird. Ein Geflecht aus Fragen wird in den Raum geworfen. Bald benutzt man Schleppnetze, um tiefer auf den Grund zu gehen. Dem Stadtschreiber, dem Ort und dem Leben im Ort. Mit Lücken in den Netzfasern des Weißen Stadtwals, der alle virtuellen Verbindungen einst geschluckt hat. Die analogen sollen hier genutzt werden, um die Besuchslücken des Stadtschreibers zu schließen, zu verknoten und an Land zu ziehen. Freundschaftlich, nett, mit Genuss und einer Flasche Wein zum Abschied. Morgens beim Spieleabend, ohne Ball und Tor, entsteht, weil es hier so sein soll, ein Netz aus neuen Wörtern, Gigahix ist ein harter Gegenstand, Olhompu ein Ort am Südpol, Taromphyr ein liebliches Gewürz und Bruk der vierte Neffe von Donald Duck. Für den Podcast, als Vorschlag zum Spielen, alternativ zu Fußball, aufgelesen in der Stadtbücherei, aufgenommen für das Worldwidenet. In den Weiße-Wal-Fasern werden sich bald neue Knoten bilden, um den digitalen Beitrag online hören zu lassen. Aufgedröselt in viele Fäden wird des Stadtschreibers Dasein, solange er noch da ist. Was er so macht, wer er ist, wie und wo er lebt, wie er der Stadt und die Stadt ihm begegnet ist. Was vom Fang übrig bleiben wird. Das Geflecht aus Fragen, deren Antworten niemandem mehr durchs Netz gehen werden, die immer durchs Netz gehen werden, damit sie jederzeit und fast überall aus dem Infomeer gefischt werden können. Hauptsache man hält die Verbindung zum Neugierhafen. Die Metapher ist ausgenommen, wer all die nervigen Sprachgräten tatsächlich bis hierher allesamt geschluckt und verdaut hat, muss sich dringend Gedanken über seine geistige Ernährung machen und bei seiner nächsten Tour mit dem Steertpogg aus der großen Stadt gesündere und informative Kopfnahrung mitbringen. Vielleicht etwas aus der Kräuter- und Blütenvegetation. Petri Heil!

9. August: Informationsverarbeitungsgewerbe

Schule. Schreiben, Lesen, Rechnen, Basteln, Bauen, Kicken, Spielen. Jeden Werktag. Auch in den Ferien, in der Sommerzeit. Spaß und Spannung, sogar auf Tour! Vom Falkenberg durch die Stadt bis nach Hamburg. Leben und Lernen, an einem Ort, im Falkennest. Große gemütliche Werkräume in Daheimatmosphäre. Es hallen Geräusche durch die Flure, Gespräche und Lachen. Hier wäre sogar ich gern hingegangen. Als Kind. Nicht nur zu Besuch. Lausche dem Treiben, das genossen wird. Die Zukunft kommt hier an, in der Gegenwart, jeden Tag. Ab Mitte des Sommers, jetzt sind sie wieder da. Kinder auf dem Spielplatz der Informationen, fast gleichverteilt, Jungs und Mädels, beim Brückenbauen, beim Anpflanzen, beim Sprayen, beim Malen, beim Klettern, alles mit Kurzweil, der ewig verweilt. In den Erinnerungen. Schulstoff sozialisiert. Direkt und nebenbei. Hausaufgaben, Essen, Lesen, Spielen, zusammen entscheiden, was man machen will, nah bei den Kindern. Eine Wand für ausgedruckte Bilder. Ein Air-Hockey-Tisch fürs Gemeinschaftsgefühl. Heiß begehrt. Gut gelaunte Verarbeitung täglicher Eindrücke an einem Ort. Wiederkehrende Elternanfragen, mühelos im Umgang, plus ein verständnisvolles Schmunzeln. Eigenständigkeit zentral koordiniert, spielerisch im Ablauf, sogar beim Streit auf dem Bolzplatz. Einzig die Löcher im Netz stören zuweilen beim Torschuss. Über Fußball, Streit und Löcher in Netzen berichten sie, in der Redaktion, bis das Blatt am Abend druckreif ist. Schreiben, Lesen, Recherchieren, Texte bauen, ernste Spiele mit lokalen Themen. Jeden Werktag. Auch in den Ferien, im Sommerloch. Immer auf Tour, durch den Ort, durch das Umland, bis nach Bad Segeberg. Über das Leben schreiben, an einem Ort, in der Redaktion. Große gemütliche Arbeitsräume, oft in Homeofficeatmosphäre. Heute hallen Geräusche durch die Flure, Gespräche und Lachen. Hier gehe ich gern hin, zu Besuch. Lausche den Themen, die besprochen werden, über Gegenwart und Zukunft der Arbeitszeiten, der Wahlen, der Bestatter*innen, der lokalen Unternehmen, des Lebens, des Todes und über Cold Cases, die in Erinnerung bleiben. Hier sind sie: Journalist*innenen auf dem Spielplatz der Informationen, ein paar Jungs mehr als Mädels, beim regionalen Brückenbauen, beim Textanpflanzen, beim Gedankensprayen, beim Ausmalen von Artikelplatzierungen, beim Klettern über Recherchehürden, alles mit Kurzweil, der mindestens bis zur nächsten Ausgabe verweilt. Publizistenstoff sozialisiert. Direkt und nebenan. Aufgaben der Redaktionssitzung, besprechen, zuteilen, schreiben, zusammen entscheiden, was man machen will, nah bei den Menschen. Eine Wand fürs Druckarchiv. Ein Kickertisch fürs Gemeinschaftsgefühl. Verweist, wegen gut gelaunter Verarbeitung täglicher Eindrücke vor Ort. Wiederkehrende Leseranfragen, mühelos im Umgang, plus ein verständnisvolles Schmunzeln. Eigenständigkeit zentral koordiniert, spielerisch im Ablauf, sogar beim Streit um den Printplatz. Einzig die Löcher im Netz stören zuweilen bei Redaktionsschluss.

7. August: Beim Zeltfest

Er wurde eingeladen, der Stadtschreiber, ganz dezent, von der Dezernentin, wegen seines famosen Gespürs für Kalauer. Und weil er gern dabei sein möchte. Überall. Weshalb er herzlich eingeladen wurde. Trotz der Kalauermanie. Zum Schleswig-Holstein-Musik-Festival im großen Steinzelt, man könnte sagen Scheune, dann wäre das Ganze ein Scheunen-Festival gewesen. Ist es. Mit viel Spaß. Im Feuerwehrmuseum. Wie fünfundreißig Jahre vor seiner Stadtschreiber-Zeit, im Plöner Schloss, als er das letzte Mal beim SHMF gewesen war und ebenfalls ein Duo miterlebt hatte. Damals Vater und Sohn, Yehudi und Jeremy Menhuin, ganz klassisch an der Geige und begleitet am Klavier. Wie in den achtziger Jahren nun ein Duo, ganz anders, Freunde, Jan und Marco, Plewka und Schmedtje, Popgesang begleitet von der Gitarre, let's do the time warp, in die Achtziger. Von Hare-Krishna über Material Girl, Billie Jean bis Forever Young, in der ersten Hälfte musikalische Nostalgie-Comedy pur in Weiß, in der zweiten lauter eingespielte Songlose, gezogen vom Publikum, Rio Reiser, die Beatles und vor allem Eigenes vom Duo, ganz in Schwarz. Es wird Nacht, die Scheunenstimmung steigt. Let's do the time warp again! Gemeinschaftlich zurück in die Adoleszenz. Klatschen und Mitsingen, auch die Dezernentin verliert die Dezenz, singt beherzt mit. Ein Scheunenfestival. Mit Kalauern, nicht vom Stadtschreiber, auf der Bühne gelingen diese besser. Mit Ausgelassenheit, auch vom Stadtschreiber. Das Feuerwehrfest kehrt zu all jenen zurück, die früher schon dabei gewesen waren. Let's do the time warp again! In die Achtziger. But it's the pelvic thrust that really drives you insane! Das Publikum sieht den Sänger singen, tanzen und wanken, das Lied jedoch lässt er aus. Weil es aus den Siebzigern ist. In Essen wird es open-air auf dem Domplatz zeitgleich ausgestrahlt, Rocky Horror, zeitlos. Let's do the time warp again! Am Abend in der Feuerwehrscheune ist alles genauso wie und gleichzeitig anders als in der Kindheit. Da war das alles noch klassischer gewesen, das Musikfestival im Land zwischen den Meeren, das Duo an Klavier und Geige. Wunderschön, nostalgisch in der Erinnerung. Let's do the time warp again! Zu den Beiden damals hätte niemand es gewagt, ausgelassen zu singen. Mitzusingen. Zu Grölen. Das wurde ausgelassen, damals. Das gab's nur auf Feuerwehrzeltfesten. Beim Zeltefest im Stadtpark am nächsten Tag lässt das Publikum es gleichsam aus. Die Stadtwerke feiern den Sommer, mit Musik und bei Regen. In Dutzenden Zelten. Mit Schirmen, Kindern und ausgelassener Stimmung. Mit mythischen Wesen zum Bestaunen und Erschrecken. Auf Stelzen. Nachhaltig. Genuss an den Bäumen, Extrakraxeltour. Der Stadtschreiber tourt an den Informations- und Spaßzelten vorbei, wird angesprochen, quatscht über heute, gestern und morgen. Let's do the time warp again! Zeltfeste in der Nachbarschaft. Wie in den Achtzigern. Mit Spaß, aber weniger Alkohol. Dosenbier ist endgültig oldschool. Gut so. Mehrwegpfand ist aber auch selten zu finden. Beim Zeltfest. Let's do the time warp again!

4. August: Lebenskultur an Bord

Es lebe die Kultur. Nach dem Sturm mit vollen Segeln. Im kleinen Boot. Lesen und Schreiben. Als Werkstatt. Leben und Abschweifen, als der Stadtschreiber im Hafen anlegt. Statt durch das Werk rudern die Wörter durch den Tag, Erfahrungen, Erlebnisse, Anekdoten, Politik, Kultur. Am Leben. Bis in den Abend. Kein Wort zu viel, heißt nur die Anthologie. Zu viel geredet, zu wenig die Prosa der Schreibenden gehört. Lebensgeschichten auf der Flucht. Zwei ziehen durch die Zeilen, immer in Sichtkontakt zur Kunst, die Anker werden gelichtet. Ein neues Werk in der Prosawerft, im Herbst, mit vollen Segeln auf der Flucht, Fabulierschiffe in Buchformat, ruhraufwärts, schippern bis nach Essen. Die Fock wird gehisst. Kaffee und Kuchen auf großer Fahrt, Geschichten im Trockendock. Irgendwann: Leinen los bei Sonnenuntergang, Sterne über Stadt und Park. Sterne über dem Meer. Nach dem Sturm. Der Strandkorb wackelt, die Fahne weht, Regen fällt vom Himmel. Bin im Park unterwegs, sagt das papierene Schild unter dem Kubus. Mit Schirmen und dichten Jacken sagt die Vernunft. Der Kapitän der Lebenskultur in Stadt und Park kreuzt gegen den Wind, kreuzt auf, die Glocke läutet, der Stadtschreiber verlässt das Deck. Gemeinsam steuern sie die nächste Insel an, wo Blumen und Kräuter blühen. Stützt das Ruder. An Land. Ehrenamtlerinseln neben Patenbänken und Patenbäumen. Kurs halten. Durch Kinderwildnis und um den See. Bis ins Café. Mit Kaffee rudern die Wörter durch den Tag, Erfahrungen, Erlebnisse, Anekdoten, Politik, Kultur. Am Leben. Bis in den Nachmittag. Stützt das Ruder. Im Ausschuss. Kulturleben. Mit vollen Segeln, mittschiffs. Voran. Zurück zum Strandkorb. Im Park unterwegs, kein papierenes Schild mehr. Bis zur nächsten Tour, dem nächsten Törn, über die stürmische Plaudersee der Lebenskultur. In Stadt und Park, auf großer Fahrt. Ahoi.

2. August: Zukunftspläne für den Äther

Der letzte Monat als Stadtschreiber. Der Abschied wird geplant. Für das Ende des Monats. Wolken im Äther. Die Zukunft wird geplant, die Zukunft am Ende der Zeit als Stadtschreiber. Mit Inhalten, die am Ort vor Ort sind. Noch, für den Stadtschreiber. Zwei Autorinnen werden lesen, plattdüütsch und kriminell. Geplaudert soll werden, mit weiteren Künstlern des Ortes. Und mit dem Publikum. Zum Abschied. Über die Kunst und Kultur des Ortes. Über die Probleme. Über die Chancen, über die Aussichten, und über die Zukunft. Von Kunst und Kultur. Im Ort, in allen Orten. Mit Harmonie im Äther. Mit Vergnügen. Der Abschied wird geplant. Die Zeit bis zum Abschied. Mit Besuchen des Gewerbes, des journalistischen als erstes. Vier Dörfer in einer Stadt schweben als Nachrichten durch die Luft, durch den Äther, durch das Netz. Jeden Tag. Auf Sendung, jeden Abend. Das Studio mittendrin. Hightech. Moderiert vom bekanntesten Gesicht der Stadt. Er mag es, erkannt zu werden, sogar mit Einkaufstüten im Arm, wenn es sein muss, denn er mag seinen Ort. Sendebewusstsein. Für die Wahl eines Oberbürgermeisters die beste Voraussetzung, aber er wird nur darüber berichten. Mit seinem Team und einem Ü-Wagen in Rollkofferformat. Mit Inhalten, die am Ort vor Ort sind. Zuweilen live geschnitten während der Übertragung. Nachrichten werden gemacht, hochdeutsch, ebenfalls über Kriminalfälle. Geplaudert wird. Über Kunst und Kultur. Über Probleme, Chancen, Aussichten und die Zukunft des Ortes. Tägliches Gespräch. Mit den Menschen. Die es sehen, das Programm. Im Netzäther. Gecuttet auf Beitragslänge. Eine halbe Stunde lang. Jeden Abend. Den Sender der Stadt, ihren Sender. Wo ein Kollege des Stadtschreibers arbeitet, weniger schreibend als schneidend als Stadtberichterstattercutter. Er plant das Programm, schnibbelt, bis alles harmonisch am Platz ist und den richtigen Ton hat, auch die Szenen des Berichts über den Besucher, dem das Studio gezeigt wird. Von seiner literarischen Zukunft erzählt er, der Autor am Mischpult, vom fünften Teil einer Fantasyserie. Den ersten, sein „Vermächtnis von Centhia“, vermacht er signiertdem Kollegen, bevor der geht. Dankbar. Zu einem alten Bekannten, der ihm diesmal keine Bäume zeigen wird, Planten un Blomen bleibt über der Bahn, ohne Ausstieg. Grüner Friede ist geplant, als Besuch angekündigt. Kein Gewerbe vor Ort, dem eigentlichen Plan entsprechend, sondern eines in der regionalen Nachbarschaft, gleichsam weltweit. Grünglobal, also überall vor Ort. Auch hier. Ein Gespräch, zur Beratung über Zellen für Sonnenstrahlen auf privaten Dächern. Gefangenschaft für den harmonischen Nutzen. Unter Nachbarn. Mit Inhalten, die am Ort vor Ort sind. Die Zukunft wird geplant. Global. Für mehr Sauberkeit im Äther. Mit Hilfe eines Automechatronikers, dem die Zukunft der Energie wichtiger war als die geplante der eigenen Ausbildung. Sauber gemacht. Nun verkauft er sonnige Chancen, verspricht, keine Probleme aus den Informationen herauszuschneiden. Sendet ohne Krimihintergedanken über den Face-to-face-Äther Inhalte, die am Ort vor Ort seien könnten. Überall. Klare Aussichten. Ansichtsbruderschaft unter dem Totempfahl. Beim Abschied ist trotzdem kein Plan besiegelt. Wie überall. Der Mammutbaum bleibt im Regen stehen, auch auf dem Rückweg. In der Bahn unter den Pflanzen und den Blumen des Hamburger Parks tropft es von den Regenschirmen. Ein paar Kilometer weiter, oben im Sender, sagt das bekannteste Gesicht des Ortes unverblümt die Beständigkeit des Wetters in der nahen Zukunft voraus. Kein Problem mit Schirm, gute Aussichten.

31. Juli: Begegnungen der 3. Art

1. Art: Auf dem Fahrrad. Unterwegs. Zur Veranstaltung. Der Himmel zieht zu. Gewitter dräuen. In die Pedale kräftiger keulen. In die Kurve. Ein Waldweg. Rasant. Eine Abkürzung. Rasen. Rechts hat Vorfahrt. Ein Geländewagen. Am Gelände vorbei, seitlich, über den Schotter. Kurvenbremsen. Mit den Rädern, mit dem Kopf. Aufgeschlagen, aufgeschabt. Erstaunlich, wie viele Menschen bei dem Wetter unterwegs sind.

2. Art: Ist der Anblick, des Verkehrsopfers. Die einen wollen die Ambulanz rufen, die anderen es sofort ins Krankenhaus bringen, für beides keine Zeit, eine Begegnung wartet, für alle, in Garstedt, in der Bücherei, ganz neue Arten: Lyrik, Prosa, Musik, Crossover. Also weiter, Tupfer am Schädel, gut betucht, Crossroad. Zur Veranstaltung. Alle gucken, als sähen sie Begegnungen der dritten Art.

3. Art: Sehen sie, die Zuschauer, in der Stadtteilbücherei, Begegnungen, Crossoverlyrik der besten Art, Musik der schönsten und Erzählungen der allerfeinsten. Beglücktes Publikum, beglückendes Gespräch, glückliche Stunden, sogar Elvis kommt auf ein Gastspiel vorbei. Sie lebt, die dritte Art, in Cenks Art: Lyrik, Prosa, Musik, wunderbar, alle da. Mit Applaus. Ein Genuss. Zum Abschluss. Beim Italiener in Lattenkamp. Das Fahrrad wartet. In Garstedt. Wenn dich das Pferd aus dem Sattel wirft, sitz auf und tritt in die Bügel, in die Pedale. Blöde Weisheit. Aber das Fahrrad wartet, muss ins Trockene gebracht werden, zurück in den Stall. Yee-haw! Zurück im Sattel. Unterwegs. Mit Melodien, Gedanken und Gefühlen des Tages leuchtet die Sonne bei Regenhimmel durch die Nacht. Unterwegs. Der ersten, der zweiten und der dritten Art. Begegnungen aller Art. Yee-haw! Bei Sonnenschein durch die Nacht.

27. Juli: Der Stadtschreiber lädt ein ... Cenk Bekdemir

Der Stadtschreiber, also ich, sagte des Öfteren: „Ich hasse Lyrik.“ Als ich Cenk fragte, was er denn mitbringen werde, schrieb er: „Ich bringe tatsächlich von allem etwas mit, Gedichte (mit und ohne Geräusche), Kurzgeschichten und 1 - 2 Lieder. Diese Aufzählung gibt auch die Entwicklung meiner (Bühnen-)Schritte wieder, obwohl die Musik immer parallel lief.“ Garantiert ein Genuss, sogar die Lyrik für mich. Trotz meiner wiederholten Aussage. Crossover-Lyrik, wie Cenk sie nennt. Die ich mag, aber: Psst, verratet es keinem, ich habe ein Image zu verteidigen. Ich freue mich riesig, dass der preisgekrönte Poetry-Slammer, Autor und Musiker Cenk Bekdemir meine Einladung angenommen hat und nach Norderstedt kommt. Mit Spannung warte ich auf Sonntag, den 30.07.2023, wenn er um 16:00 Uhr in der Stadtbücherei Garstedt die Bühne rocken wird. Abwechslung pur, bei freiem Eintritt! An dieser Stelle habe ich bei den anderen Ankündigungen immer geschrieben, woher und seit wann ich die AutorInnen kenne, die ich einlade. Bei Cenk weiß ich das gar nicht mehr, gefühlt schon immer. Es muss in meiner Hamburger Zeit gewesen sein, als wir uns zum ersten Mal begegnet sind. Bei einer Lesung, bei einem Konzert, in einer Kneipe mit befreundeten AutorInnen oder ... Später waren wir beide Mitglieder eines Kulturvereins, mit dem wir und er Kulturevents organisierten. Die perfekte Besetzung, wie alle im Verein, jeder machte das, was er wollte. Und bei den Vereinstreffen erzählten wir uns gegenseitig, wie schön das war, was wir alle so machten. Selbstbeweihräucherung bei Bier und Wein. Ein Genuss, auch wegen Cenk. Wann wir uns kennen lernten, werde ich ihn bei dem Kulturevent in Garstedt fragen. Vielleicht weiß er es ja noch. Ganz sicher ist, ich fand ihn vom ersten Augenblick an sympathisch und wollte mit ihm befreundet sein. Weil es unmöglich ist, ihn nicht sofort zu mögen. Sympathie auf den ersten Blick, meine Empfehlung an alle, probiert es selbst aus. Cenk ist absolut erlebenswert, sogar ohne Prosa, Lyrik und Musik. Und mit umso mehr, absolut erlesenswert. Außerdem absolut hörenswert, solo und mit seiner Band „Der Termin“. Die Gelegenheit: Cenk Bekdemir - Lyrik, Prosa, Musik, solo, plus im Gesprächsduett mit mir, am 30.07.2023 in der Stadtteilbücherei Garstedt um 16:00 Uhr. Eintritt frei!

26. Juli: Wem die Stunde schlägt

Es war nicht Ernest Hemingway gewesen, der mich auf die Rathausuhr und ihr Glockenspiel aufmerksam machte. Als das Rathaus mit der Uhr errichtet wurde, lebte der schon über zwanzig Jahre nicht mehr, konnte unmöglich darüber geschrieben haben oder mich heute darauf hinweisen. Die Glocken spielen auch keinen Song über Santiago. Aber sie spielen Songs, andere Lieder, die wenig Beachtung finden und nicht so präsent seien, wie ein älterer Herr aus Norderstedt mir über das Abendblatt mitteilen ließ. Warum die Norderstedter das Glockenspiel und die Uhr angeblich nicht kennen und ansehen, schrieb er leider nicht. Ob es so ist, muss ich selbst herausfinden. Finde ich heraus. Die Uhr sieht man natürlich, sieht jeder auf dem Marktplatz, schließlich hängt sie groß und auffällig am Rathaus. Aber dass sie Melodien läutet, wissen tatsächlich nur wenige, sogar von denjenigen, die ich am Marktplatz danach befrage. Jene, die es wissen, behaupten, es würde „Die Ode an die Freude“ mehrmals am Tag angestimmt. Die Gäste in den Cafés und in der Hopfenliebe erschrecke der unerwartete Götterfunke regelmäßig, heißt es. Zu welcher Uhrzeit er gespielt werde, da herrscht Unsicherheit. Abends um 18:00 oder um 19:00 Uhr? Mehrmals am Tag. Gewiss mittags. Nicht immer zur Freude beim schönen Götterfunken, weil Gespräche gleichzeitig unmöglich seien. Unter dem Lied. Es ist kurz vor drei am Nachmittag. Die Mittagsstunde ist längst vorbei, ich warte trotzdem auf das Läuten, denn „mehrmals am Tag“ könnte ja auch um drei sein. Der Minutenzeiger schleicht sich an die Zwölf heran, meine Beethoven-Erwartung steigt, nähert sich dem Zenit, geht weiter voran, wie der Zeiger, immer näher und zack, zeigt senkrecht zum Himmel. Dong! Ein Ton, keine Folge, keine neunte Sinfonie, kein vierter Satz, nicht einmal ein zweiter Schlag. Um drei Uhr nachmittags. Dong, mehr, nicht. Die Uhr leidet unter Dyskalkulie, lautet meine Diagnose. Passanten schauen mich irritiert an, als ich auf dem Marktplatz stehe und über die Uhr und meinen Witz lache. Jetzt dreht unser Stadtschreiber durch, denken sie, denke ich und zeige erklärend zur Rathausuhr. „Einmal, nur einmal hat sie geschlagen!“ Sie gucken mich besorgt an. „Um drei Uhr!“, versuche ich zu erklären und zeige vehementer zur Uhr hinauf. Das alles lässt sie jedoch gleichgültig, sie haben nicht einmal das eine Läuten gehört, verstehen aber meine Irritation. Einmal für drei Uhr, okay, sie rufen keinen Notdienst, um mich abholen zu lassen, gehen weiter ihrer Wege. Ob sie wissen, wann welche Melodie gespielt werde, erfahre ich nicht. Dafür muss ich ins Rathaus gehen. Wo bekommt man städtische Auskünfte? Bei der Rathausinformation, richtig. Eine Kopie vom Glockenspielplan der Stadt. Ein historisches Dokument von 1988, darauf: Tage, Uhrzeiten und Liedernummern. Es werden tatsächlich täglich zwei bis viermal eine von dreizehn Melodien gespielt. Dreizehn? Nein, zwölf, die Liedzählung endet nur mit dreizehn, beginnt dafür mit zwei. Ach so, na dann. Die Zwei sei die „Europahymne“ und die Dreizehn „Freude schöner Götterfunke“? Aha. Verstehe ich nicht. Neben dem Europahymnenvermerk der Zwei steht noch „Te Deum laudamus“, nun verstehe ich es, die Eurovisionsmelodie, 1988, logisch. Egal, wird ohnehin nicht gespielt. Genauso wie die Hälfte der anderen Melodien. Warum sie trotzdem auf der Liste stehen, kann man mir an der Information nicht erklären. „Stehen halt drauf“, sagt man mir. Okay, kann ja nicht schaden, denke ich. Was die nette Frau an der Information über mich denkt, möchte ich lieber nicht wissen. Als ich ihr die Frage des älteren Herrn zu der Uhr, die mir die Tageszeitung schickte, stelle, warum gerade die Songs, die gespielt werden, gespielt werden, verdreht sie genervt die Augen, als ob es die blödeste aller Fragen ist. „Weil das so eingestellt ist!“ Eine Logik, der ich mich nicht entziehen kann, als ich von dannen ziehe. Zurück auf dem Rathausplatz betrachte ich den Spielplan gründlicher, es erklingen sechs verschiedene Lieder, von denen offenbar nur eines wahrgenommen wird, die „Ode an die Freude“, obwohl sie lediglich jedes vierte Mal geläutet wird. Trotzdem erschreckt einzig der Götterfunke die Menschen auf dem Platz, vermutlich, weil es das einzige Lied ist, dass alle aus der Auswahl kennen. Einmal in der Woche wird „Alleweil ein wenig lustig“ von den Glocken über den Markt geschickt, was ich überaus passend finde. Viertel nach Drei, um das nächste Rathausuhrspiel live zu erleben, müsste ich fast drei Stunden ausharren. „Es klingt so herrlich“ von Mozart werde es sein, steht auf dem Plan, nicht herrlich genug für mich zum Warten. Ein letzter Blick zu den Ziffern vor den roten Klinkern, eine weitere Minute ist vergangen. Für den Hinweis des Nicht-Hemingway bin ich dankbar, die Recherche war alleweil ein wenig lustig. Vielleicht sollte ich nach Doc Brown suchen, um mit einem DeLorean um Mitternacht bei Gewitter am Rathaus vorbeizufahren. 1988 wären mir sicherlich alle Fragen beantworten worden, zu Marty-McFly-Zeiten hätte man sogar dem Glockenspiel die Dyskalkulie abtrainiert und gewusst, wem die Stunde schlägt. So bleibt es dabei, einmal in der Woche: „Allzeit so, so! Man rede, was man will, ich aber schweig fein still!“ Ab jetzt: Dong!

24. Juli: Marsch durch die Farbtöne

Treffpunkt Marktplatz. Wolken vor dunkelblauem Himmel, die Sonne beißt sich durch das Grau und wirft Licht auf den Platz. Der Regenbogen ist selbstgemacht. Gelebt, lebendig. Alle sind dabei, alle, die dabei sein wollen, die es sehen wollen, die gesehen werden wollen. Ein Marsch durch die Farbtöne des Menschseins. Vielfältigkeit. Polizeibewacht, -begleitet, -beteiligt mit eigenem Stand, Männer in Uniform vor queerem Einsatzwagen, in geteiltem Standpunkt. Von allen, farbenfroh und lebendig, auf dem Marktplatz. Parteien ringen um den attraktivsten Regenbogen, ein Marsch durch die politischen Farbtöne, alle gewinnen. Die Herzen. Die Buchhandlung hat ein Themenfenster für den Tag dekoriert, eine bunte Literaturmischung. Das Rathaus ist vollmast beflaggt, Nieselregen fällt auf Regenbögen. Musik setzt ein, der Marsch beginnt, durch die Straßen, durch die Farbtöne, durch das Leben, durch die Welt, durch Norderstedt. Beats aus Tönen, beats mit Schritten, beats in Herzen. Ein Regenbogen wird durch die Stadt getragen, Seifenblasen glitzern unter und über ihm, schweben durch die Luft. Die Sonne wirft ein kurzes Lächeln durch die Wolkenlücken. Bis erste Tropfen vom Himmel fallen und die Seifenhäute platzen lassen. Die Musik geht weiter, das Leben geht weiter, farbenfroh und beschwingt durch die Stadt. Der Wolkenbruch wartet, hält sein Gewitter noch zurück, bis alle in Sicherheit sind. Im Rathaus. Regenbögen unter Glasdächern, darüber will keiner erscheinen. Nur Regenschauer. Mit Reden darunter. Und der Marsch geht weiter, muss weiter gehen, durch die Farbtöne, durch die Welt, durch das Leben, bis zum Ende des Regenbogens.

20. Juli: Was macht eigentlich ein Stadtschreiber?

Seit ich Stadtschreiber in Norderstedt bin, begegnet mir diese Frage täglich mehrfach. Nach einer mich repräsentierenden Umfrage, also einem Erfahrungsaustausch im persönlichen Umfeld unter Personen, die aktuell oder ehemals ein Stadtschreiber-Stipendium irgendwo inne haben oder hatten, lautet das Ergebnis: Es ist die am häufigsten gestellte Frage an StadtschreiberInnen. Ohne definitive Antwort unter den Befragten, eine Leerstelle in der Erzählung. Oder vielmehr ein vages Fabulieren, ein lückenhaftes Füllen der Lücke. Hier ein Versuch: Ein literarisch-künstlerisch tätiger Mensch hält sich im Rahmen eines Stipendiums in einer Stadt oder in einem Ort auf, um für begrenzte Zeit ein kultureller Teil des Gemeingefüges zu werden. Nicht als Chronist, wie viele annehmen. Die meisten Geschichtenerzähler der schriftlichen Form haben ein enormes Interesse an Orten und Menschen, um das soziale Miteinander zu erleben, zu dechiffrieren, um ein Fundament für die Schreibarbeit zu erlangen. Nicht um die Geschichte eines Ortes aufzuzeichnen, sondern um Lyrik oder Geschichten zu kreieren. Das optional literarische Ergebnis der Stipendien: das Schreiben. Das gleichfalls auch oft Teil der Stipendien selbst ist, hier: Das literarische Arbeitstagebuch. In dem schriftstellerisch die täglichen Erfahrungen vor Ort in Textform umgesetzt werden. Heute: 1: Über das Treffen für einen Podcast, der in nächster Zeit mit dem Stadtschreiber aufgenommen und online gestellt werden soll. Eine nette Runde junger Menschen der Stadtbücherei, Geplauder, Brainstorming, über das, worüber wir vor dem Mikro reden wollen und wie wir miteinander die Aufnahme gestalten möchten. Dass ich beim ersten Mal, als ich vor Jahren den Begriff 'Podcast' hörte, an eine Art Cannabisjurytreffen dachte, behalte ich für mich. Sicherheitshalber. Vermutlich finde nur ich das komisch. Wie peinlich. Aber wo der inhaltliche Unterschied zur Radiotalkrunde liegt, die jeder selbst produzieren und über den Sender gehen lassen kann, weiß ich bis heute nicht. Ist aber auch egal, ich bin wahnsinnig gespannt auf die Norderstedter Talkrunde, die Aufnahme und den geschnittenen Beitrag. Also den fertigen Podcast. Irgendwann im August. 2. Über den Mann, der am Strandkorb vorbei kommt, mich hinunter klingelt, der wegen des Regens mit mir hoch ins Schreibatelier geht, um dort mit mir zu plaudern. Über Norderstedt, über das Leben, über Musik, über Photographie, über das Filmen und über das Schreiben, das er selbst gern tut. In einer Schreibwerkstatt. Kein Wort zu viel. Auch als Anthologie, die er beim Stadtschreiber zurück lässt. Gratis. Dankeschön. Ich bin erstaunt, wie viele Schreibwerkstätten und literarische Gruppen in der Stadt existieren, wie viele ich schon kennen lernte, und ich lese das kleine Büchlein mit der Sammlung von Short-Shorts, von Kurz-Kurz-Geschichten. 3. Über die Schreibwerkstatt, die mich bereits eingeladen hat, die dritte, zu der ich radele, nach Friedrichsgabe. In Johannes' Gemeindehaus. Vom Gerücht, ich würde mich sogar in Telefonzellen verirren, haben die Schreibenden dort offenbar gehört, sie kennen noch Telefonzellen. Sie schicken per Mail eine Wegbeschreibung. Sicherheitshalber. Analoge Routenplanung digital versendet. Als Hilfeleistung der Orientierten für den Orientierungslosen, der trotzdem die Orientierung verliert und sich verirrt. Auf dem Weg, auf jedem Weg. Smarte Pfade aus Beschreibungen von Passanten führen weiter zum Ziel. Ohne Zeitnot sind Umwege eine Bereicherung. „Sind Sie nicht der Stadtschreiber? Was macht eigentlich ein ...?“ Ich lerne von und in Friedrichgabe ein wenig mehr kennen, durch das Herumgeirre, bevor ich in der Gemeinde der Schreibenden ankomme. Verfolgt, verständlich: „Was macht eigentlich ein Stadtschreiber?“ Neue Bekanntschaften, und neue Wege, spannende Momente lerne ich kennen. Anregende Schreibstiftgedanken, ein Austausch, Literatur, ein Genuss, Plaudern, ein Vergnügen, Anekdoten, eine Schatzvergrößerung. Man solle für mich nichts extra vorbereiten, hatte ich im Vorfeld gesagt, doch fühlt sich manches extra für mich vorbereitet an. Dankeschön. Ein Austausch, ein Genuss, ein Vergnügen. 4. Über eine andere Kirchengemeinde, die so jung wie die Stadt ist, gleich alt wie alle Kirchen im Ort, die mich einlädt, den noch etwas jüngeren Stadtschreiber. Zum Gespräch, über Glauben, über Politik, über soziale Strukturen und den Halt in der Gemeinde, über den Frieden, über christliche Kirchen, die Schalom heißen, und über Einbrüche in ihre Kirche, um den Domschatz der Thomas-Kathedrale zu rauben. Der im mittelalterlichen Gewölbe unterm Moor sicher verwahrt liegt, wo nie ein Dieb hingelangen wird. Weil das genauso wenig wie ein Schatz oder irgendwas Wertvolles in des Gottes Haus existiert, außer den Menschen, deren Glaube und der Gemeinschaft. Halt, Frieden und eine neue Anekdote, die die Gemeinschaft stärkt. Die Glockenturmtür wurde aufgebrochen, die Glocke hängen gelassen. Sicherheitshalber. Dankschön an die zweiten Einbrecher. Die ersten haben sie sogar geläutet. Und ein Dankeschön für das lebhafte Gespräch. An die Menschen, die mir davon erzählen. Und Schalom an alle! 5. Über den Stadt-Schreiber, den Chronisten der Stadt, den es schon längst und lange gibt, der über Friedrichsgabe geschrieben hat und über die anderen Stadtteile schreiben will. Der Mitstreiter, vor allem Mitschreiber dringend sucht, und der seine Werke besser und schlauer zu verkaufen weiß als sein literarischer Kollege. In dritter Auflage. Friedrichsgabe. Er hält mit dem Wagen direkt neben mir, steigt aus, reicht das Buch und ruft: „Hier, das wollte ich dir geben!“ Beglückt schaue ich auf das interessante Werk und murmele ein Dankschön. „Schenken kann ich es dir natürlich nicht, das kostet ja was!“ Logisch. Beim Erwerb gibt es ein Plattdeutsch-Heft über die Norderstedter Stadtteile noch gratis dazu. Fischmarkt-Schriftmarkt mitten im Ort. Der Stadtteilchronik-Schreiber fährt mit leereren Kartons und vollerem Portemonnaie zufrieden seiner Wege. Ich radele amüsiert davon, um ein chronistisches Werk und eine Leerstunde in Marketing reicher. Die Anekdoten-Börse hat sich weiter gefüllt, hat die Gemeinschaft zum Ort gestärkt. Die Börse in der Tasche ist leerer geworden. Vielleicht sollte ich die Verkaufsstrategie bei meinen Romanen überdenken und das Dazugelernte mehr anwenden. Beim nächsten Mal werde ich dem Stadtteilchronisten eines meiner Werke in die Hand drücken, so viel steht fest. Ich freue mich drauf, vor allem, weil es auf besondere, ganz eigene Art stets bereichernde Begegnungen mit ihm waren und sind. 6. Und/Oder über die anderen Frauen, Männer, Kinder, Familien, die mich täglich, überall draußen, ansprechen und fragen, ob ich der Stadtschreiber in Norderstedt sei. Die mir von sich und der Stadt erzählen, Anekdoten für den Schatz. Nicht verwahrt in Gewölben unterm Moor, kein Diebesgut, ein Schatz für alle, die teilen wollen, ohne es an die große Glocke zu hängen. Mit Spaß am Plaudern. Denen ich dann die Frage beantworte, was eigentlich ein Stadtschreiber so macht. Genau das hier: Plaudern am Straßenrand, im Park, in den Parks, in Einkaufspassagen, in den Läden, im Kino, im Supermarkt, an den Ständen der Märkte am Rathaus und in Harksheide, in den Büchereien, in den Kulturhäusern, überall, wo man sich begegnen kann. Gemeinschaftlich. Und wo man mir begegnen kann, mit und ohne Klingel, als menschlicher und kultureller Teil des Gemeingefüges. Was macht eigentlich ein Stadtschreiber? Er lernt die Menschen kennen, lässt sich alle Orte zeigen, die für einige von Bedeutung sind, geht mit Besuchern per pedes, per cogitatio oder per littera auf Reisen. Wartet darauf, dass jemand seine Zeilen liest und beim nächsten Treffen die lateinischen Fehler korrigiert. Freut sich darüber, weil er wieder etwas gelernt hat. Und weil jemand das Geschriebene liest. Freut sich über Kritiken an den Texten, noch mehr über Lob. Er liest für die Norderstedter, er lädt sie ein zu Lesungen, regelmäßig. Er lädt befreundete AutorInnen ein, um Norderstedt kulturelle Abwechslung zu bieten. Präsentiert seine neuesten Werke. Er trifft die Menschen, berichtet über seine Außenperspektive auf die Stadt und die Einwohner. Gibt Resonanz und unterhält mit Anwesenheit, versucht, die Stadt durch eigene Öffentlichkeit künstlerisch und menschlich zu beleben. Und er schreibt, hier, am Ort, das Tagebuch und ein paar Kurz-Kurz-Geschichten, und irgendwann daheim, in Essen, irgendwas über das Leben.

17. Juli: Party-Zone

Vor den Sommerferien wird noch einmal gefeiert. Zweimal, dreimal, viermal ... Eine Woche lang. Bis die Sonne untergeht. Projektwoche, kreatives Schreiben, Dutzende Gedanken und Geschichten zum Erwachsenwerden, bevor die Schule zu Ende geht. Junge Literatinnen stellen aus, ihre Prosa, neben Projekten der Mitschüler, intensiv und einfühlsam. Zukunftsorientiert. Erwachsene sind dabei und lesen, über das Erwachsenwerden der Jugend. Ein Fest. Mit Robotern, auf Rädern und Kugeln, und sehr jungen Programmierer*innen in der Stadtbücherei. Robotik, die ersten Schritte rollen, im ganzen Raum, durch den ganzen Raum, unter Bücherregalen hindurch. Geplant, programmiert, mit Fernbedienung und riesig Spaß. Party-Zone. Am Parteistand mit dem Bundestagsabgeordneten und sechzig Fragen, ein Buzzer im Park, Quizfragen, Willy Brandt als Joker, eine Antwort verstarb am nächsten Tag, die erste in vielen Bereichen, Ruhe in Frieden. Ruhe gibt es nie, unter den Lebenden, Splash probt den nächsten Auftritt, ein letztes Mal vor der Sommerpause, zusammen, Drums, Bass, E-Gitarre, Gesang und gute Laune. Proben für die Party-Zone. Der Drehorgelmann spielt ein Solo im Park, mit der Ziehharmonika als Leierkasten, das Steigerlied für den Stadtschreiber aus Essen, auf der Reeperbahn für den Ex-Hamburger. „Elbaufwärts fließt ...“ sein neuer Roman, auf der Release-Party dem Publikum im Stadtmuseum entgegen, in die Taschen der Zuhörer, signiert und bezahlt. Zigfach schön. Wie das nächste Lesefest wenig später, mit dem preisgekrönten Kollegen aus der Nachbarschaft. Applausgekrönt, gleich weiter engagiert. Party-Zone. Zeitgleich im Park. Der Stadtschreiber war noch gebunden, in Seiten voller Prosa, aber sein Strandkorb fühlte den Impuls zum Mitfeiern. Leicht angeschlagen lag er tags drauf auf der Wiese, die hundert Meter zurück nach Hause hatte er nicht mehr geschafft. Alle Gliedmaßen von sich gestreckt, klitschnass und dreckig, die Party war ein Fest gewesen. Gitterlos. Vor dem Gewitter hatten sich alle anderen in Sicherheit gebracht. Der Strandkorb des Stadtschreibers feierte allein weiter. Partytime in der Party-Zone. Bis zum Ende des Sommers.

13. Juli: Der Stadtschreiber lädt ein ... Tobias Sommer

Schon wieder lädt der Stadtschreiber jemanden ein, diesmal den preisgekrönten Schriftsteller Tobias Sommer, der vor Jahren sogar in Klagenfurt für den Ingeborg-Bachmann-Preis nominiert war und mittlerweile von dtv veröffentlicht wird. Und natürlich sind wieder alle Norderstedter eingeladen, ebenfalls dabei zu sein. Nicht nur die Norderstedter, sondern der gesamte Norden. Zur Lesung mit dem Autor, der ganz aus der Nähe kommt, aus Bad Segeberg. Am 15.07.2023 um 14:00 Uhr in der Stadtbücherei Glashütte, bei Kaffee und Kuchen. Eintritt frei!
Er bringt seinen aktuellen Roman „Ein gekauftes Leben“ mit, den nicht nur die Kulturredaktion des SWR für lesenswert hält. „Clemens Freitag hängt durch – bis er auf ebay das seltsame Angebot bekommt, eine fremde Existenz zu kaufen. Haus, Auto, Beruf, Freundeskreis. Tobias Sommer beschreibt sehr unterhaltsam die Folgen, die es haben kann, wenn sich plötzlich alles ändert. Nicht durch eine Krise, oder einen Lottogewinn, sondern alles normal bleibt, nur anders.“

Ich lernte Tobias Sommer im ersten Jahr des Literaturwettbewerbs „AstroArt“ kennen. Er reichte den Text „Die Leuchtturmwärterin“ ein. Wir in der Jury entdeckten sofort, was in Klagenfurt erst Jahre später erkannt wurde: einen neuen Stern am Literaturhimmel. Er kam zur Preisverleihung und las auf dem Kunstfestival AstroArt an der Hamburger Sternwarte die Geschichte, mit der er damals den zweiten Platz gewann. Dass Gunter Gerlach den ersten errang, ist eine ehrvolle Randnotiz. Tobias nahm uns mit auf eine literarische Reise, das Publikum war begeistert wie wir, die ihn seither immer im Auge behielten, von Veröffentlichung zu Veröffentlichung, von Preisverleihung zu Preisverleihung, von Roman zu Roman. Bis heute, bis Norderstedt, bis zum 15.07.2023 in der Bücherei Glashütte, wo um 14:00 Uhr allseits beweisen wird, wie hell sein Stern leuchtet. Der Eintritt ist frei, und ich freue mich riesig, dass er der Einladung gefolgt ist.

11. Juli Der Stadtschreiber lädt ein ... Norderstedt

Und sich selbst lädt er ein. Der Stadtschreiber. Für Norderstedt. In Norderstedt. Ins Stadtmuseum, das viele für das Feuerwehrmuseum halten. Ganz ohne Feueralarm die Einladung zur Lesung. Aus dem aktuellen Roman des Stadtschreibers. Die Deutschland-Release-Lesung. „Elbaufwärts fließt bei Ebbe die Ruhr in die Spree“. Weil alles fließt, das Leben, die Wörter, die Sätze, die Seiten, die Zeit, in Norderstedt und überall. Am Donnerstag, dem 13.07.2023, um 19:00 Uhr fließt nahe der Moorbek der Roman zum Publikum. Und Norderstedt ist eingeladen, dabei zu sein: Eintritt frei!

Wer das Arbeitstagebuch liest, weiß vermutlich, wer Stadtschreiber in Norderstedt ist. Daher gibt es an dieser Stelle keine nähere Erklärung. Wer bislang nichts über Huug van't Hoff weiß, wird sicher alles finden, was es zu wissen gibt. Hier und andernorts.

Was gibt es über den Roman zu wissen?
„Clemens Nikolaus Johannsen, von Freunden CN genannt, ist aus Norddeutschland ins Ruhrgebiet gezogen, um Menschen kennen zu lernen. Was ihm erst gelingt, als er in der Nähe des Baldeneysees auf eine Wasserleiche stößt. Mit ihr zieht er ungeahnte Probleme an Land. Und neue Freunde, die ihm eigentlich helfen wollen, aber sein Leben komplett drucheinander bringen. Nachdem die Tote von der Polizei zudem als eine Jugendliebe von ihm aus Nordfriesland identifiziert wird, brechen endgültig alle Dämme. Die Vergangenheit holt die Gegenwart ein.
Ein autofiktionaler Roman über die Unberechenbarkeit des Daseins, eine Wildwasserbahn, die alles am Leben hält. Bis zum Tod. Heiter, absurd, melancholisch, tragisch, traurig, lustig, menschlich, surreal.“

Alles Weitere am 13.07.2023 um 19:00 Uhr im Stadtmuseum. Eintritt frei!
Ich freue mich riesig auf das Interesse und das Dabeisein der Norderstedter und aller anderen Gäste, die der Einladung folgen. Der Stadtschreiber lädt ein ...

10. Juli: Erntezeit

Mähdrescher auf Feldern. Die Kornernte wird eingebracht. Gerste, Weizen, Roggen. Gemessen in Doppelzentnern. Kindheitsgerüche. Strohstaub. In Halmen gebundener Sonnenschein, gepresst in Ballen. Klappen voller Erinnerungen. An Hofläden gibt es keinen Spargel mehr, Johanni ist längst vorbei, sogar die Erdbeeren gehen langsam zur Neige. Himbeeren liegen in den Auslagen, warten auf Rote-Finger-Ernte. Pflaumen, Äpfel und Birnen werden noch kommen. Das wird noch dauern. Bis das Stein- und Kernobst sozialisiert werden wird. Resozialisiert. Im Glasmoor. Im Lebenslauf. Die kriminellen Auswüchse und Triebe werden ausgegeizt und beschnitten, die Ernte der Vergehen und Verbrechen abgesessen, neue Früchte angezüchtet, seit hundert Jahren. Zurück in und für das Leben. Resozialisiert. Offen im Vollzug. Einst im Moor und auf dem Feld mit Arbeit die Freiheit und das Leben zurückerlangt. Zuvor: Hände unter Ballen gebunden. Chancenintegriert. Hoffentlich trocken. Ohne Fäulnis. Die Klappen. Als Nahrung für die Zukunft. Nach der Ernte ist vor der Ernte, Lebensdrillen ohne Drill, oftmals lehmige Saat, in Werkstätten, bis zur nächsten Erntezeit. Direkt aus dem Glasmoor geliefert. Ins Leben zurück. Integrativ, sozial, nachbarschaftlich und weltoffen. Nachbarschaftsernte. Feiern in Garstedt. Ein Fest, mit Kinder auf mechanischen Bullen, Eltern auf Strohballen, Musiker auf der Bühne, Männer und Frauen an den Futterstellen. Mit Ausgelassenheit an den Tränken. Offen im Vollzug. Lebenslust gepresst in Sonnenschein. Fruchtbare Nachbarschaft geerntet, gemessen in Spaß und Freunden. Tausend Doppelzentner auf einen Hektar. Im Freibad, ins Wasser, in den See. Lebenslust ernten im Sommer, für den Winter. Kindheitsgerüche. Mähdrescher auf den Feldern. Erntezeit. Gerste, Weizen, Roggen. Strohfahren. Und jetzt: Klappe halten!

5. Juli: Energieintensiv

Mit Hammer und Meißel, hart auf Granit, vorsichtig auf Alabaster und Sandstein, sanft auf Marmor, gefühlvoll immer, Kunst entsteht langsam, Kunst entsteht im Kopf, im Herzen, in und vor der Hütte auf dem Bauspielplatz, das Material bestimmt mit, was entsteht, welche Geschichte erzählt werden will.

Beim Bildhauen genauso wie beim Schreiben. Ein Roman entsteht, Zeichen für Zeichen, Silbe für Silbe, Wort für Wort, Satz für Satz, Seite für Seite, Bildhauerarbeit auf Papier, manches muss vor Veröffentlichung noch aus den Seiten geschlagen werden, mit Tränen und Vorfreude, behutsam, bis zum vollendeten Werk.

Vollendet ist es nie, nur weiter gegeben, wie die Zukunft, immer auf dem Weg, immer in Veränderung, wie der Ausbau der erneuerbaren Energien, wie der Frieden, wie die Menschheit, wie die Welt, wie das Leben, wie die Natur.

Mit Hammer und Meißel, mit Stift und Papier, mit Schleifpapier in die Tastatur, gestaltet sich das Leben, die Geschichten, die Zukunft, der Roman, vorgestern erschienen, abgeholt nach dem Steinschlag auf dem Baui, vor dem Film über andere Gestaltungsmöglichkeiten der Zukunft. Geschichten entstehen beim Betrachten, bei jeder Betrachtung, bei allen, die betrachten, überall, wo betrachtet wird.

Ohne Heizdecke geht es weiter, nach dem Kino, ohne eigene Panelen, dafür mit fünf Belegexemplaren des eigenen Werks, nach Hause, nach Gasthausen, nach Glashütte, beseelt und warm, unter künstlerischen Heizdecken, aus Gesprächen neue Bilder, Wörter auf Papier, poliert wie Skulpturen aus Marmor, wie die Welt, in der wir leben. Immer weiter, bis zum Ende aller Tage.

Elbaufwärts fließt bei Ebbe die Ruhr in die Spree, die Moor- und die Tarpenbek in unsere Sinne. Der Film endet, auf der letzten Seite, fließt weiter, immer weiter, in alle Richtungen, mit Hammer und Meißel auf Granit, sanft, energieintensiv, mit Offenheit im Herzen.

3. Juli: Im Spektrum: Feiern bei Regen

Peitsche und Hut, der Regen fällt schräg in den Abend, der Film frontal auf die Leinwand. Ein Fest, wie als Teenager. Alle sind älter geworden. Mit Peitsche, Hut und Vergnügen. Zum letzten Mal als Premiere. Zum achten Mal als Moderator zu einer Premiere für Jugenddarsteller beim Festival in Bergedorf, großes Theater, ein Fest, draußen regent es, drinnen scheint die Sonne. Den Rückweg begleitet ein Schauer, wohlig von innen, nass von oben. Ein Axiom der Tage. Beherzt begrüßt die Stadt ihren Gast aus Hamburg, die Stadtschreiberin, die Gästin des eigenen Stadtschreibers. Der Hund Heidi gibt nur literarisch ein Gastspiel, ist verhindert, Heidi „übt für den weltfrieden trotz der düsteren realität“. Im Musikschulkubus lauschen die Ohren des Publikum, draußen plätschert es, ungestört, es strahlen die Augen, es strahlt das Leben, es lebt die Diskussion. Über Kunst, Kreativität und den Genuss der eigenen Entscheidung. Erhellend, bei Regen, spannend und belebend. Eine Meile weiter tönt Musik in den nassen Abend, es wird gesungen, getanzt, gefeiert, drinnen und draußen. Heiter, rockig, bei Regen, beseelt und belebend. Feucht fröhlich. Wie das Fest der Sportler: Turnen auf dem Rasen, trinken und plaudern an den Ständen, ausgelassen und lebendig, üben für den Weltfrieden. Mit durstiger Realität. Und Niederschlag beim Heimweg, Niederschlag daheim. Bis zum Aufschlag im Stadtmuseum, zur Vernissage, aus einem Guss, aus zwei Güssen. Sieh es: Mutter und Tochter, Kunst im Dialog, ein Wolkenbruch der Eindrücke. Ein Lichtstrahl fällt in den Saal, wirft Schatten durch die Ausstellungsstücke, übt für den Weltfrieden. Bei kreativer Realität. Ein Picknick für die Seele. Picknick im Park, Oldtimer-Schau mit Schauern, motorisierte Exponate aus Metall, Kunst mit Auspuff, Kaffee und Kuchen. Wasser abweisend. Ein leckeres Fest für die Sinne, im Spektrum: Feiern bei Regen. Alle sind eingeladen, üben weiter für den Weltfrieden, bei jedem Wetter. Ohne Peitsche, nicht auf der Hut.

29. Juni: Halbzeitbilanz: Der Stadtschreiber lädt ein ... Christine Rainer

Zuletzt war die ehemalige Bergedorfer Schloss-Schreiberin zu Gast in Norderstedt, diesmal kommt die aktuelle Hamburger Stadtschreiberin Christine Rainer, wieder eine Österreicherin, diesmal aus Innsbruck. Gemeinsam laden wir alle interessierten Personen aus Norderstedt und Hamburg ein, dabei zu sein, bei der Stadtschreiber-Halbzeitbilanz, am Samstag, dem 01.07.2023, um 16:00 Uhr, im Strandkorb im Stadtpark. Mit ausreichender Bestuhlung. Einmalig. Und: Eintritt frei!
Christine Rainer habe ich erst kürzlich in ihrem Writer-In-Residence-Domizil im Gästehaus der Töpferstiftung an der Elbchaussee kennengelernt. In sehr kleinem privatem Kreis. Die Ökonomin und Sprachwissenschaflerin präsentierte Auszüge aus ihren Werken, Lyrik und Kurzgeschichten, Miniaturen über besondere Menschen, die Elbe, den stetigen Wind, seltsame Tiere und rätselhafte Pflanzen. Beeindruckend. Ein guter Grund, sie einzuladen. Fand ich, finde ich. Schon geschehen. Der anschließende Austausch zwischen uns über Erlebnisse und Eindrücke in gleicher Funktion in benachbarten Städten, teilweise ähnlich, teilweise vollkommen anders, schien mir wie geschaffen für einen Abend zu meiner Halbzeit in Norderstedt und zu ihrer Zweidrittelzeit in Hamburg. Ist wie geschaffen, wird präsentiert, nur in Norderstedt. Gemeinsam. Im Schreibdomizil des Stadtschreibers hier im Ort, im Strandkorb vor dem Musikschulkubus. Bei Regen im Kubus.

Am 01.07.2023 um 16:00 Uhr im Stadtpark Norderstedt. Eintritt frei!

29. Juni: Bunte Welt

Kunst ist bunt und abwechslungsreich. Das zeigt sich auch im Kunsthaus Norderstedt, wo einige Kreativbereiche unter einem Dach versammelt sind. Raum für Bildende, Foto- und Darstellende Künste. Und ebenfalls für musikalisch und literarsch Ausdrucksschaffende. Fünf Kulturvereine aus dem Ort präsentieren sich dort, laden ein, dabei zu sein. Der Kunstkreis lud den Stadtschreiber zu sich ein, lud ihn doppelt ein, oder dreifach, egal. Er kam, weil er das Kunsthaus sehen, weil er die Wirkungsstätten vieler Norderstedter Künstler erleben wollte. Und weil er beim Biodiversitätstag im Stadtpark das Geschenk des Kunstkreises, einen von Norderstedtern und auch ihm selbst über den Tag gestalteten Beutel, vergessen hatte. Ein Grund extra in das wunderschöne Kunsthaus zu kommen, zu klönen, Anekdoten über das bunte Leben im Ort zu erfahren. Und den Beutel endlich zu erhalten. Mitgenommen!
Fast zu spät gekommen, zum Innenhof-Konzert in Barmbek. Noch rechtzeitig, um dem Keltischen-Harfen-Spieler zu lauschen, den Sommerabend vollends zu genießen, abzuschalten im Grünen, unter Nachbarn, die nicht die eigenen sind, sondern die von jenen, die einladen. Sie alle sind der Beweis für den kreativen Impuls, der von Krisen ausgehen kann. Ketten öffenen oft die Phantasie, um die Fesseln mit kunterbunten Ideen zu lockern, um andere Wege zu gehen. In Barmbek entstand während der Pandemie eine Konzertreihe im grün bepflanzten Innenhof eines Mietshäuserblocks. Mit Unterstützung des Bürgerhauses. Bands spielten im Garten, drumherum saßen die Bewohner mit befreundeten Gästen auf den Balkonen. Bunt mit Hygienekonzept. Wunderbar, als Idee und in der Umsetzung. Bis heute. Weil es so schön war, weil es so schön ist, geht es weiter. Mit keltischer Harfe am Abend im Innenhof. Privates Festivalfeeling.
Bunte Bilder nimmt der Kameramann auf, mit Klappe, vom Moderator und dem Stadtschreiber, ein Interview in der Moorbek-Passage. Nicht zufällig, sondern geplant, nicht minder unterhaltsam, ein Vergnügen: mit anregenden Fragen und, so hofft der Befragte, erhellenden Antworten. Bunt, in dunkler Kleidung. Für alle, die es sehen wollen. On air. Irgendwann in nächster Zeit. Der neueste Stand.
Der neueste Stand wird auch im Rathaus besprochen, im Sitzungssaal, der neueste Stand an Vielfalt im Ort. Einheitlich fotografiert, per Lufttropfen verschickt. Für alle, die dabei sind. Im Arbeitskreis, der kein Arbeitskreis sein will, offen für alle ist, die eine bunte Welt lieber mögen als das staubige Einerlei. Für das wiederum jeder, der es haben möchte, einstehen und es leben darf, wenn es ihm lieber und schöner erscheint. Weltoffen im kleinen Kreis, das bunte Dasein. Inklusive Grau, das zur Vielfalt gehört wie alle Farben des Regenbogens. Ohne Grau keine bunte Welt.

26. Juni: De Jung mit'n Tüddelband

Match Börner open air. Kein Match. Die Musik fliegt über den Park, bis in die Stadt. Am Eingang zum Festival steht ein Jung mit'n Tüddelband. Für die Besucher, um es um den Arm zu binden. Als Zeichen, dass man dabei sein darf. Ich vergaß, mich um eine Karte zu kümmern, und muss draußen bleiben. Wie Hunde vorm Kaufhaus. Am Tüddelband. Wenn he blots nich mit de Been in'n Tüddel kümmt. De Hund. Er muss draußen bleiben, ich muss draußen bleiben. Die Musik höre ich trotzdem, in meinem Strandkorb, in meinem Schreib-Atelier, im Musikschulkubus.
Vor der Rockmusik kommt eine Gruppe Plattsnacker zum Strandkorb und snackt platt, kloor.
Humor, gute Laune und Sonnenschein bringen sie mit, außerdem Fragen, Geschichten und Gedöns.
Wollen den Anfang meines Romans hören, der im Juli erscheint: „Elbaufwärts fließt bei Ebbe die Ruhr in die Spree.“ Irgendwann fließt Musik vom Festival in den Text, das Lesen treibt lauter dahin, rauscht in die Ohren der Plattsnacker, gefällt ihnen, obwohl es nich up platt is. Im Gegensatz zu den Geschichten, die von ihnen mitgebracht werden. Kindheitsgefühle. Zur Mittagsstunde. Es singen die Plattsnacker zum Abschied vom Jung mit'n Tüddelband. An der Ecke stehe ich, höre zu. Ohne Bodderbrod mit Kees. Während die Plattsnacker gehen, läuft die Musik lauter, Töne unaufhaltsam im Strom. Bis in die Nacht. Und mancher het door seker in de anner Hand 'ne groote Buddel Beer. Am Nachmittag fließen nochmals Wörter, blutig, mörderisch durch die Bücherei in Garstedt, bis in die Köpfe des Publikums. Der Norderstedter Autor Matthias Asteroth kommt ohne großes Getüddel gleich zum Cyberpunkt in „Cyberrat“, zur Wasserleiche mit den abgeschnittenen Ohren in seinem Roman. Alte Hackernetzwerke, kriminelle Netze, weltweit, in der Nachbarschaft. Is 'n Klacks för so 'n Hamborger Jung, also einem Jung aus Norderstedt. Applaus! Auf dem Rückweg schicken mir die Bands vom Stadtparksee ihre Hymnen entgegen. Rockig, fast tanze ich auf dem Fahrrad, muss nur aufpassen, dass ich nicht mit dat Rad un de Dassel op 'n Kantsteen rassel. Ohne Tüddelband kümm ick nich rin, immer noch nicht, daher fahre ich heim zum Schlafen, um am nächsten Morgen ganz andere Töne zu hören. Ebenso schöne. Auf Hof Pein, das Sinfonieorchester der Musikschule spielt Klassik in der Scheune, von Bizét über Dvorák bis zum Mandolinenkonzert von Nepomuk Hummel. Rock'nRoll aus anderer Zeit, zeitlos, rein, instrumental, gleichsam schön. An de Eck vonne Schüür steiht 'n Jung mit 'n Tüddelband. Der steht da, hat nur eines, bindet mir keines an den Arm, obwohl ich eine Eintrittskarte habe. Für das
Konzert. Bei Sonnenschein, summertime. Beruhigend, mitreißend, ideal für einen Sonntagmorgen. Für die meisten schon Mittag. Norderstedter Jungs und Deerns. Ein Genuss. An den Bäumen neben der Scheune hängen noch keine Früchte, ist noch zu früh zum Äppelklaun. Eier, Rum und Eiergrog bekommt man auch nicht, aber Bier, Wein und andere Getränke. Manche laufen vor der Pause los, als die Musiker des zweiten Acts ihre Instrumente aufbauen, um vor den anderen Durstigen da zu sein. Ein Wettrennen mit der Mandoline. Moderiert vom Musikschulleiter. Allegro con spirito. Doch noch Börner gematcht, ganz klassisch. Irgendwie. Und ohne Tüddelband.

23. Juni: Bingo!

Geburtslotterie: Heimatort und -land, politische und geographische Landesstrukturen, körperliche, geistige, familiäre und soziale Grundlagen, Krieg und Frieden ... Schicksalsbingo!
Lebenslotterie: Schule, Ausbildung, Beruf, Resilienz, Aus- und Umzug, Flucht, politischer Kampf, Krieg und Frieden ... Lebenschance!
Im Integrationskurs sitzen fast zwanzig Menschen aus zehn Ursprungsländern. Sie haben ihre (Über-)Lebenschance genutzt, Flucht aus der Geburtslotterie. Sie lernen zehn und zwanzig, zehnte und zwanzigste, für jeden Monat, um hier klar zu kommen, für einen Abschluss, in einer fremden Sprache, auf Deutsch, damit sie hier eine Ausbildung, einen Beruf, einen sicheren Ort finden dürfen. Arbeiten dürfen, die Flucht überleben dürfen. B2 - normiert. Zwei Fehler im Test des
einheimischen Gastes, weil ihn die eigene Geburtslotterie überheblich macht, er die Aufgabe nicht aufmerksam liest. Durchgefallen. Mit Glück!
Bingo! Die Kinder einer Schulklasse sitzen in der Bibliothek und entdecken Bücher. Begeistert, alle dabei. Bingo, es macht Spaß. Allen. Alle von hier. Bingo! Literarische und graphische Details zuerst finden, Bingo! Eine lehrreiche Welt voller Freude und Freunde. Von der Bibliothekarin unterstützt, in der Lebenslotterie. Alle gleich. Die Schüler nutzen ihre Chance, sind dabei, spielen mit. Haben Spaß. Bingo! Sie fragen den auswärtigen Gast, weshalb er Schriftsteller wurde. Weil es das Einzige ist, was er wirklich immer machen wollte und immer machen möchte, was ihm nie langweilig wird.
Was er hier machen darf. Bingo! Mit Glück!
Gedanken an den Abend zuvor. An den Steinklopper. Granit. Bingo! Gleiche Lebensentscheidung mit anderen Baustoffen und anderem Handwerkszeug. Meißel und Stift, Künstlertreffen im Park, um ein Bild zu schießen, Spiegel- und Linsenwerk, eine weitere Künstlerin nahm sie auf. Geplant zufällig. Mit Termin, kurzfristig anberaumt, ursprünglich an einem anderen Tag. Mit Bildpartner, der gesucht werden musste. Bingo. Der Bildhauer schlenderte vorbei und kam mit drauf. Und dann ins Gespräch. Bis in den späten Abend. Weil die Splash-Probe ausfiel, war Zeit dafür. Ein Genuss. Die Musik musste warten. Auf Gleichgesinnte, aufs nächste Mal. Im Musicstar-Club spielten auch Künstler, die letzte Band vor der Sommerpause, der Ton wurde anderweitig verwendet. Die Zeit lief und wurde laufen gelassen. Der Bildhauer und der Schriftsteller ließen sie laufen, im Gespräch, die Lebenslotterie genutzt, gewonnen an diesem Abend. Bingo! Mit Glück! Die Sonne ging unter und wieder auf.
Wieder ein Gespräch, ein Gesprächskreis, am Abend, Menschen treffen aufeinanden, plaudern, um die fremde Sprache besser zu beherrschen, Deutsch, sie dürfen frei sprechen, hier, Bingo, sprechen über positive und negative Erfahrungen, hier, über die Heimat, die sie verließen. Die Lebenslotterie, die sie beeinflussen. Lebenschance: Bingo! Gewinn und Verlust! Heimweh. Was vermissen sie am meisten hier? Die Freunde, die Familie, das Essen, die eigene Sprache, das Wetter, die Luft, den feinen Sand unter den Füßen, das Tanzen ... Alles, was hier so fremd ist. Für sie. Bingo! Für alle, die sich der Geburtslotterie widersetzten. Widersetzen mussten. Bingo! Unendliche Weiten. Mit Glück!
Lebt lang und in Frieden!

19. Juni: Segeltörn

Freitag um sechs setzte das Ermittlerteam von Svea Jensen die Segel. Im Stadtpark, von St. Peter Ording aus. Literarisch gut organisiertes Love-Scamming an der Westküste. Mit „NordWestSchuld“ voraus durch den Abend. Online-Heiratsschwindel offline gelesen. Die Sonne ging unter, eine laue Brise wehte kühl durch die Bäume, ein Kriminalfall geschah. Vor allen Leuten, die da waren, die dabei waren, auf Klappstühlen. Auf dem Prosa-Segeltörn durch das weltweite Netz. Ins Netz gehen die Verbrecher sicher, immer, am Ende, und werden kielgeholt. Im Roman. Nicht am Ende dieses Abends. Der Fall ging nicht ins Trockendock, blieb vorerst ungelöst. Die Zuhörer waren begeistert, verließen zufrieden und sicher den Stadtpark-Literaturhafen mit Büchern für daheim. Kiel holte sie erst am nächsten Tag: an die Ostküste schippern, wo die großen Kähne auf Regatta gehen, für eine Woche, für die Party-in-der-Stadt-Woche. Anner Woderkant. Mit Musik, Artistik, Klamauk, Eis, Spaß und langen Hälsen. Nachhaltig. Biodivers, alle da. Vielfältig. Wie im Park, an de Kant vonne Woderplankenkabachelern. Lauter Aktionen. Vielfältig, von Kunst bis Bohnenanbau. Biodivers. Bei Sonnenschein und spiegelglattem See. Tagsüber. Abends auf Kreuzfahrt gegen den Wind. The Great Crusades, Musicstars, die aus Chicago ihren Törn über den Atlantik machten, um im Musicstar vor Anker zu gehen. Rock'nRoll, so berauschend wie Rum an Bord. Homeward bound, ein Fahrrad mit Schlagseite bei schwerem Seegang. Ahoi und bis bald!

16. Juni: Alle sind anders, alle sind gleich

Im Lichtschacht des Musikschulkubus' legt sich jemand ein Handtuch hin. Komischer Platz zum Sonnen, denke ich. Und schief liegt das Handtuch auch noch. Nein, liegt es nicht. Er beginnt zu beten, nach Mekka, in Sichtschutz zu den anderen im Park. Vor meinen Blicken ungeschützt. Auf der Treppe, auf dem Weg hinab, nach draußen. Er macht etwas Unerwartetes, etwas Anderes, etwas Gleiches wie viele seiner Glaubensgenoss*innen, und ich verhalte mich genauso wie die meisten anderen, wenn sie es gesehen hätten. Gleich. Neugierig bleibe ich stehen, schaue hin, fühle mich ertappt, ohne dass der Betende mich sieht. Ohne Neugier keine neuen Gedanken, kein Entdecken, kein Verstehen. Wer den Menschen die Neugier nimmt, hinterlässt Stillstand. Alles bleibt gleich, ohne Chancen auf Entwicklung. Meine Neugier sagt mir nach Sekunden, dass der Betende seine Ruhe sucht. Ich gehe weiter. Hinaus, zum Fahrrad, um zum Weltladen zu radeln. Bin dort verabredet. In der Welt, im Laden, vor dem Laden. Angelockt mit Schokolade. Ganz anderer Schokolade, fair im Handel, sogar die Milch aus dem eigenen Land. Anders und doch gleich. Lecker. Gleich fair für alle anderen. Kaffee und Schokolade, belebende Substanzen der Zivilisation. Ohne andere Zusätze. Wie die des Hasens. Der wartet im Festsaal am Falkenberg, und Alice, auf das Publikum. Er hat Pillen dabei, die er eigentlich verkauft, nicht fair gehandelt, an Alice verschenkt. Alice D. im Wunderland. Das kriminelle Plüschohr entführt sie ins Wunderland. Mit psychoaktiven Substanzen, in Bonbons. Keine Bio-Schokolade. Das Publikum reagiert berauscht. Von Humor und bunten Bildern. Auf der Bühne. Alice im Wunderland. Ganz anders und doch gleich. Dargestellt von Schüler*innen des Gymnasiums Harksheide. Geschrieben von einer von ihnen. Die Eigenständigkeit kämpft gegen die Abhängigkeit. Und sie gewinnt. Wunderbar, lustig, bei tosendem Applaus. Tosenden Applaus bekommen auch die Athlet*innen der Norwegischen Delegation der Special-Olympics bei Ankunft der Olympischen Fackel auf dem Rathausplatz. Die ewige Flamme entzündet für wenige Augenblicke. Neben und auf vom Kunstverein frisch gestalteten Gullydeckeln, anders als andere, gleich wie zuvor. Zwei Herzen, miteinander, Rot bis zum Regenbogen. Anders und gleich. In allen Sprachen. Das Feuer brennt. Zum Abschied, bevor die Olympioniken zu den Wettkämpfen nach Berlin aufbrechen. Andere Wettkämpfe, gleiches Ziel. Alle sind dabei, bei der Abschiedsfeier der Sportler*innen, sogar Herrmann, das Maskottchen des HSV. Ein blauer Drache, anders als die anderen, im Inneren trotzdem gleich. Am Abend eine große Party, zum Abschied mit Musik. Direkt vor dem Stadtschreiber-Strandkorb. Logenplatz. Ein Fest für die Stadt, ein Fest für die Sportler, lauter unterschiedliche Menschen aus unterschiedlichen Nationen, in Begeisterung und Gefühlen gleich. Die Band Splash spielt die Musik dazu. Die Sonne geht über den Köpfen der Menschen unter. Sie werden den Gästen aus Norwegen bei den Wettkämpfen die Daumen drücken. Die ortsansässigen Cheerleaderinnen tanzen. Alle sind anders, alle sind gleich. Überall. In der Stadtbücherei liest ein anderer Gast, Eva Woska-Nimmervoll, mit Wiener Schmäh begeistert sie das Publikum. Entführt sie in ihr Wunderland, ohne psychoaktive Bonbons, mit mentalaktiven Bonmots. Tosender Applaus und fair gehandelte Schokolade als Dankeschön. Bunte Herzen. Das Feuer brennt weiter, überall, miteinander, eigenständig. Alle sind anders, alle sind gleich.

15. Juni: Der Stadtschreiber lädt ein ... Eva Woska-Nimmervoll

Die Wiener Journalistin und Literatin Eva Woska-Nimmervoll kommt nach Norderstedt und bringt nicht nur ihren bei Kremayr und Scheriau erschienenen Roman „Heinz und sein Herrl“ mit, sondern neue Geschichten. Aus einer soll ich einen Sprechpart lesen, den eines schmierigen Hamburger-Musik-Managers. Danke, Eva, damit sind die Rollen ja klar verteilt ;-) Wer diese Rollenverteilung und viel mehr wunderbare Prosa erleben will: Am 15.06.2023 um 19:30 Uhr in der Stadtbücherei Mitte. Eintritt frei!
Meine erste Begegnung mit Eva Woska-Nimmervoll fand literarisch statt. Wörter auf Papier. Sie bewarb sich mit der Kurzgeschichte „Tante Mitzi“ auf das damals erstmals ausgeschriebene Schloss-Schreiber-Stipendium in Hamburg-Bergedorf. Und gewann, weil sie mich und die Jury insgesamt überzeugte. Eine gute Wahl, die Bergedorfer liebten sie, ihre erste Schloss-Schreiberin, noch heute sprechen sie voller Begeisterung über sie. Ein paar Jahre später folgte die nächste literarische Begegnung. Ohne Vorwarnung. Die Kurzgeschichte „Das Haar“, ihr Beitrag zu einem Literaturwettbewerb, und wieder entschieden wir uns in der Jury für Eva Woska-Nimmervoll. Aus mehreren Hundert anonym eingereichten Texten. Seither blieben wir im Kontakt. Damit sie nicht wieder heimlich einen Text einsendet und gewinnt. Aus dem „Das Haar“ erwuchs ihr Debutroman „Heinz und sein Herrl“, eine liebevolle Betrachtung des Wiener Gemeindebaulebens, mit dem Hund Heinz und seinem Herrl, dessen Welt plötzlich Kopf steht, als der hundehassende Nachbar stirbt. Amüsant und mit viel Wiener Schmäh. Als der Roman erschien, durfte ich sofort mithelfen, eine kleine Norddeutschland-Lesetour zu organisieren. Welch Freude. Was man nicht alles tut, um einen lieben Menschen wieder zu treffen. Um die Zeit bis zur nächsten Begegnung zu verkürzen, setzte ich mich gleich an die Arbeit. Siebenhundert Seiten schrieb ich, einen historischen Roman, nur um einen Grund für einen Wienbesuch vortäuschen zu können. Mit zwei wundervollen Lesungen. Die waren im letzten Jahr. Und in diesem Frühjahr bewarb ich mich in Norderstedt, um … genau, Eva wiederzutreffen. Und zu hören, bei einer Lesung in der Stadtbücherei, zu der ich sie einladen darf. Und alle Norderstedter. Wir alle haben das Glück, dabei sein zu dürfen. Eine Art Erstlings-Stadtschreiber-Treffen ist es zudem, die erste Bergedorfer Schloss-Schreiberin trifft auf den ersten Norderstedter Stadtschreiber. Mal gucken, was es in dem Zusammenhang für Offenbarungen geben wird. 

12. Juni: Ohrenkunst im Obergeschoss

Nein, es geht nicht um gemalte Ohren als Ohrenkunst. Wobei es morbid-lustig erscheint, dass das berühmteste Ohr in der Kunstgeschichte ein abgeschnittenes ist. Und das berühmteste Ohrenbild nur einen Verband zeigt, kein Ohr. Was nicht der Grund dafür ist, dass das Ohr nicht zu hören ist. Zu hören sind andere Künste. Von unten dringt Musik durch den Boden, Flöten, Klarinetten, Oboen und weitere Blasinstrumente. Im Obergeschoss bloße Ohrenkunst, im Untergeschoss kann das Publikum die Ohren der Musizierenden sehen, während sie der Kunst lauschen. Gemalt werden sie nicht, die Ohren. Musik in meinen, von unten, von überall. „Künstler sind nicht überflüssig, weil sie was zu sagen haben. Und uns den Alltag vergessen lassen“, sang einmal Funny van Dannen, der auch Ohren malen und beschreiben kann. Ein Multiohrenkünstler. Ein anderer Schreibender hat seine Ohren sicher im Ort, im Park. Dutzende Fanohrenpaare lauschen seiner literarischen Jagd nach Scholle, dem Altganoven Hans-Peter Scholz, der in Fredenbüll eine Bank ausrauben will. Krischan Koch schmückt das kriminelle Abenteuer für die Zuhörer unterhaltsam aus. Ohrenschmuck, geschrieben eigentlich für die Augen und den Kopf, Schmuck, den man sich nicht an, sondern in das Ohr hängt. Kurzweilschmuck. Norddeutsche Pointen, in abwechslungsreicher Tonalität, fast gesungen, hallen nach, vom Autor zum Publikum, vom Mund zur Hörmuschel bis zum Lachen. Ohren hängen an Lippen. Mit Biss, ohne Schmerz, aber mit Humorabdruck. „Künstler sind nicht überflüssig, weil […] sie uns den Alltag vergessen lassen.“ Das steht hinter keinen Ohren geschrieben, künstlerische Braintattoos wurden und werden täglich aufs Neue gestaltet. Überall auf der Welt. Von Ernst Bader bis zum Tod. „Kinder, die Welt ist schön!“, sollte die erste Zeile diverser Lieder von ihm lauten. Er ließ über Jahrzehnte den Alltag vergessen, schrieb und andere sangen. Für Millionen Ohren. „Tulpen aus Amsterdam.“ Für Hunderte, im Festsaal. „Die Welt ist schön, Milord“ übersetzte Bader seine Lieblingszeile in ein Piaf-Chanson, gesungen von Mireille Mathieu, jetzt präsentiert von der Musikschule als Namensgeber für die Revue im Gedenken an den Norderstedter Musiker. Die Welt ist schön, weil Künstler uns den Alltag vergessen lassen. Die Welt ist schön, weil sie die Wirklichkeit mit farbigen Gedanken ausschmücken. Sogar in Moll und Grau ein Ohrenschmuck, ein Kopfschmuck. Es schmückt sich der Stadtschreiber mit einer Lesung im Gästehaus der Alfred-Toepfer-Stiftung, als er dem Publikum das Anfangskapitel des neuen Romans für die Ohren und den Kopf geschenkt hat. Ein Geschenk, das alle behalten und teilen dürfen, obwohl es der Autor wieder mitnimmt, nach Hause. Nach Norderstedt. Denn er braucht es noch, für andere Ohren. Spätestens am 13. Juli im Stadtmuseum, bei der Präsentation des gesamten Werks: „Elbaufwärts fließt bei Ebbe die Ruhr in die Spree“ bis in die Ohren der Zuhörer. Am 13. Juli. Kunst zum Kaufen, danach für die Augen, für den Kopf. „Künstler sind nicht überflüssig ...“ und „Die Welt ist schön, Milord!“ Auch in Moll und Grau immer ganz farbenfroh. Von unten dringt Musik durch den Boden, Flöten, Klarinetten, Oboen und weitere Blasinstrumente. Ohrenkunst im Obergeschoss.

8. Juni: Berichte aus der Menschlichkeit

Angestrahlt von der Sonne. Im Strandkorb. Plaudern. Zwei Neulinge im Ort, zwei Betrachtungen, zwei, die darüber schreiben und schreiben werden. Über die Menschlichkeit. Im Ort. Über den Ort. Über das Leben. Neue und alte Netzwerke. Erfahrungen aus den Berichten anderer aufnehmen, mitnehmen, ohne alles zu übernehmen. In Brüssel. Vor Ort. Lauter Berichte aus der Menschlichkeit. Reichen schwarz und weiß aus, um das Leben darzustellen? Gedanken, die irrelevant werden, wenn die Pointe braun ist. Bei liebenswerten Menschen, die einen freundschaftlich empfangen, begrüßen, herzlich klönen, einen schönen Nachmittag bereiten. Kein Schwarz, kein Weiß, pure Menschheit. Wie beim Männertreff, der nicht im Juli auf Christophers Straße mitlaufen wird, weil die Frauen daheim mit dem Essen warten. Zur Mittagsstunde, pünktlich. Trautes Heim. Trautes Glück, allein unter Männern, gemeinsam nach Helgoland und Ohlsdorf. Zu Besuch. Abgestimmt als aushäusiges Treffen. Maskuline Basisdemokratie. Mit Bericht und Protokoll. In dem diesmal der eine Neuling, der eine neue Schreiber aufgeschrieben steht. In der Menschlichkeit. Kein Affenzirkus, abends auf der Bühne, ein „Bericht für die Akademie“, kafkaeske Gedankenwelt von hoher Darstellungskunst, ein Primat der bedrückenden Realität, deprimierend zeitlos. Ein dritter Neuling im Ort, herbeigerufen, MaLiMu, für einen Bericht aus der Menschlichkeit.

5. Juni: Comeback, des Wahnsinns fette Beute

Die Stadt feiert mein Comeback. Drei Tage nicht vor Ort, und es wird ein Rock-Festival am See mit internationalen Bands für meine Rückkehr veranstaltet. Musicstar bin ich zwar keiner, sondern als Literat im Park unterwegs. Aber okay: Nichts gegen Bier, Musik und gute Laune bei untergehender Sonne einzuwenden. So komme ich gern zurück. Und bei NORDwind geht die Feier am nächsten Tag weiter, künstlermorgens um 12:00 Uhr, genau meine Zeit, sogar daran haben die Organisatoren vom ansässigen Musikverein gedacht, um mein Comeback möglichst kommod zu gestalten. Ohne dass ich den Musikwunsch äußern muss, spielen sie ein Medley aus Blues-Brothers-Songs. Ich setze meine Sonnenbrille auf, esse eine Scheibe getoastetes weißes Brot und wippe mit den Beinen, bevor ich weiter an die Uferpromenade gehe. Zum Pinguin, nein, shake a tail feather, zum Schwan, der mich zur nächsten Darbietung führt, die extra für mich gespielt wird. Um jede Gefahr einer Stadtschreiber-Verlegenheit zu verhindern, wird behauptet, die Musik für das Albertinen Hospiz aufzuspielen. Wer's glaubt!? Ist ja eine gute Ausrede und ein guter Zweck, daher spiele ich mit, keine Musik, sondern den ganz normalen Gast. Will ja nicht unhöflich oder undankbar wirken. Ebenso wie auf der anschließenden Vernissage vom Kunstkreis. Eine Jahresausstellung mit lauter Portraits von mir, der Hammer. Welch künstlerische Raffinesse angewendet wurde, damit dass nicht auf den ersten Blick offenbar wird. Die Elbphilharmonie zeigt eindeutig meine Kinnpartie, die Tänzerin meine Eleganz, die Schiffe im Hamburger Hafen bilden eine Metapher auf mein Dasein als Stadtschreiber in der Stadt ab, und die geometrischen Abstraktionen weisen auf eine Mitte hin, auf mich. Künstlerisch brillant versteckt in Formen. Ein Kind ruft „Dinosaurier“, als der Vorstand die Ausstellung eröffnen will. Ja, ich weiß, dankeschön. Der Stadtschreiber, unübersehbar, wie ein Dinosaurier auf freiem Feld. Kindermund tut Wahrheit kund. Des Wahnsinns fette Beute folgt aber noch, Theater pur. Da haben die doch tatsächlich, um nicht zu aufdringlich zu sein, ein Sück eines Kollegen ausgesucht, und lustig ist es auch noch. Alles nur, damit ich mich wohl fühle, bei meiner Rückkehr. Es waren doch nur drei Tage, die ich fort war. Beim nächsten Mal werde ich vermutlich mit einer Parade beim Comeback begrüßt werden. Um die Mitmenschen zu schonen, ihnen den Stress zu nehmen, bleibe ich erst einmal hier, sonst verpassen die vor lauter Comebackfeiern noch ihren eigenen Alltag, die Shows im Alltag, den Kurzweil. Einzig, dass die Handlung des Stücks im Kulturwerk in einer psychatrischen Klinik abläuft, irritiert mich kurz: Was hat das mit mir zu tun? Da fällt es mir ein: Die Menschen um mich herum werden wahsinnig vor aufregender Freude, mir zu begegnen. Logisch. Irre vor Freude. Des Wahnsinns fette Beute. Genau! Eine Freundin hat mal behauptet, Stadtschreiber neigen zu Egozentrik. Quatsch! Was kann ich denn dafür, dass die Leute das alles für mich veranstalten?

31. Mai: Fremdgehen perplex

Wenn ein Polizist vom BKA, der bei der Drogenfahndung im Auslandseinsatz in Mittelamerika aktiv gewesen war, fremd geht, muss das nicht zwangsläufig an aztekischen Schönheiten liegen. Es kann ein neuer Weg sein, der eingeschalgen wird, auf dem fremd gegangen wird. Auf dem er fremd ging, bei Greenpeace weltweit und für Erneuerbare Enegien in Norderstedt. Spannend, wohin Wege führen können. Andere Wege, die plötzlich gar nicht fremd sind, Wege in eine bessere Zukunft. „Die Distel“ aus Berlin ging im Kulturwerk fremd, man kann auch sagen, spielte ein Gastspiel, öffnete seine Kabarett-WG auf der Suche nach einem Supermieter. Weder Robert Habeck, noch Olaf Schulz und schon gar nicht eine hyperaktiv tänzelnde Lauterbache wurde genommern, sondern der arme Künstleruntermieter geht fremd, wird fremd gegangen, vom Arschlochfreund, der ein Lied von ihm aus Häme ins Netz stellt, das zum Online-Bestseller avanciert, mit dem er das Haus kauft und das Arschloch rauswirft. Bestseller durch Fremdeinwirkung. Daran arbeiten viele Künstler, meistens ohne fremde Einwirkung. Auf einem Kreativ-Schreiben-Workshop gab es jede Menge fremde Einwirkungen. Mit viel Spaß in der Bücherei. Und der Stadtschreiber ging fremd, als Teilnehmer an dem Kurs, nicht als Leiter. Das konnte eine andere besser. Ob aus den Kurstexten je Bestseller entstehen werden, ist egal, es ging und geht um die Kunst. Und um den Spaß! Wie am Wochenende, zwei Tage lang, ParkPerplex, interanionale Straßenkünstler präsentieren ihre Bestseller, für die Straße, im Park, fremd gegangen, vor verliebtem Publikum: Comedy, Theater, Akrobatik, Zauberei, ein Zauber für alle. Für alle? Nicht ganz, eine Dame wunderte sich, womit manche Leute doch ihr Geld verdienen. Tja, wirklich unanständig. Versuchen manche doch glatt, mit Kunst die Menschn zu verführen. Zum Fremdgehen von ihrem Alltag. Vom Einerlei, mit Spaß und Brimborium. Bei Sonnenschein und viel Essen. Skandalös, dass die auch noch Geld für den Spaß haben wollen. Also nicht die Stadt, sondern die Künstler. Für das Publikum ist es umsonst, für die Frau auch, staunend sah sie dem Zauberer zu. Bis zum Ende. Abrakadabra, zum Fremdgehen und Fremddenken verführt. Hundert Meter entfernt fragte Julia den Stadtschreiber, ob er ihr Romeo sei. Kurz stand er in Versuchung, es zu bejahen. Dann kam Romeo, und er rannte ertappt weg. Versuchung und Wegrenenn. Nach vier Wochen in Norderstedt geht der Stadtschreiber auch schon fremd, drei Tage lang, und gleich mit zwei Städten, mit Essen und mit Köln. Aber rechzeitig zum
„Festival am See“ am 03.06. im Norderstedter Stadtpark wird er reumütig zurückkehren und Treue versprechen. Bei Bier, Musik und Spaß im Park.
Während er zwei Tage lang als Zuschauer beim ZDF-Comedy-Sommer, eine Art ParkPerplex in Köln, die Zeit lachend verbringen wird, bleibt der Strandkorb leider verwaist. Oder? Nein! All jene, die an den Tagen den Stadtschreiber verpassen, dürfen das Gitter aus dem Strandkorb nehmen und es sich dort bequem machen, um den Sonnenschein zu genießen. Um fremd zu sitzen, im Strandkorb des Stadtschreibers. Aber bitte bei Verlassen ordentlich hinterlassen und das Gitter wieder einhängen! Nicht, dass der Stadtschreiber bei seiner Rückkehr die Untreue des Starndkorbs bemerkt und ihn deshalb verlässt. Verlassen? Nein, im Gegenteil: Kommt später nochmal vorbei, wenn der Stadtschreiber wieder vor Ort im Korb ist. Bis Ende August. Und: Geht am 02.06.2023 um 18:00 Uhr zu Saša Stanišić, Stadtpark-Bühne. Verlässlich gut! Ärgerlich genug, dass der Stadtschreiber seinen grandiosen Kollege verpassen wird. Dass Saša Stanišić grandios ist, weiß er, weil er ihn schon zweimal live erlebt hat. Umso mehr ärgert er sich über die entgangene Möglchkeit dieses Genusses. Alle anderen in Norderstedt sollten sie nutzen und einen wunderbaren literarischen Abend mit Saša Stanišić erleben. Geht alle fremd, zu Saša Stanišić. Bis zur Rückkehr des Stadtschreibers, er hat nichts einzuwenden gegen Polyamorie in literarischen Beziehungen.

30. Mai: Der Stadtschreiber lädt ein ... Lou A. Probsthayn

Der Hamburger Verleger und Schriftsteller Lou A. Probsthayn kommt nach Norderstedt und bringt Geschichten über Krieg und Demenz mit. Garantiert so skurril, liebe- und humorvoll, wie man es von dem Autor kennt. Am 30.05.2023 um 19:30 Uhr in der Stadtbücherei Mitte. Eintritt frei!

Ich lernte ihn im ersten Jahr der erfolgreichen Hamburger Lesereihe „Literatur-Quickie“ kennen, damals noch in der Schanzen-Bar 439. Zu der Zeit organisierte Lou diese Reihe noch gemeinsam mit dem bekannten Krimiautor Gunter Gerlach. Zu der ich von ihnen eingeladen wurde, einen Text von mir vorzutragen. Was ich tat. Eine Viertelstunde Barhockerlesung, einzigartig. Wenig später erlebte ich die ersten Kurzgeschichten von Lou, im Biergarten in Bergedorf, auf Gegeneinladung von Ella Marouche und mir, die diese Lesereihe veranstalteten. Eine literarische Entdeckung für den veranstaltenden Schriftsteller, für mich. Die skurrilen und tiefgründigen Geschichten von Lou A. Probsthayn begeisterten das Publikum und begeistern mich bis heute. Weshalb ich ihn einlud, nach Norderstedt, um endlich mal wieder Prosa von Probsthayn zu erleben. Der „Literatur-Quickie“ entwickelte sich dermaßen erfolgreich, dass er bald an einem größeren Lesungsort gebündelt werden musste. Vier Viertelstünder von vier AutorInnen, die von weit über die Grenzen Hamburgs hinaus kommen, um ihre Quickies abzuliefern. Weiterhin einzigartig. So einzigartig, dass daraus ein Verlag entstand, mit „Pixi-Büchern für Erwahsene“, wie es in der Presse hieß. So einzigartig wie erfolgreich. Mittlerweile bringt Lou A. Probsthayn als Verleger auch „normalformatige“ Bücher heraus. Und? Genau“ Megaerfolgreich. Wie die Lesereihe bis heute. Bei all dem Erfolg stand die eigene Prosa leider lange hinten an. Bis heute! Noch bevor der von der Cafe Royal Kulturstiftung geförderte Erzählband „Alles auf Anfang“ vom mehrfach preisgekrönten Schriftsteller Lou A. Probsthayn erscheinen wird, wird er daraus einige Erzählungen, die sich mit den großen und kleinen Abschieden im Leben beschäftigen, in Norderstedt dem Publikum exklusiv präsentieren. Erstmals im Lesungsrahmen. Ich bin megagespannt auf Lou und seine Lou-Prosa, auf „Krieg und Demenz“.

30.05.2023 um 19:30 Uhr in der Stadtbücherei Norderstedt-Mitte

25. Mai: Don't panic!

Lernen, jeden Tag. Wer aufhört, ist tot. Don't panic! Heute ist interantionaler Handtuchtag, der Weg nach Magrathea steht jedem frei. Dort können neue Phantasieplaneten errichtet werden. Don't panic,  auf geht’s!
Es wird vielleicht einmal einen Audio-Guide geben. Durch die Galaxis? Per Anhalter? Nein, das war gestern. Morgen wird’s was geben, eventuell, für die Stadt. Einen literarischen Audio-Guide.
Durch den Park, durch die Ortsteile, durch die Köpfe. Womöglich bis nach Magrathea. Don't panic.
Beim ersten Treffen viel gelernt, wie das umsetzbar sei. Womöglich. Viel Arbeit für diejenige, die es umsetzen muss, sofern es umgesetzt werden wird. Sicher ist, viel zu lernen. Und schon viel gelernt.
Don't panic!
Eine Schülerin kommt vorbei, sie spielt Theater, an der Schule proben sie das von ihr geschriebene Stück „LSD im Wunderland“ ein, sie werden es aufführen. Don't panic! Lehrreich für Darsteller und Publikum. Kennenlernen. Einblicke in die Köpfe der Schüler, andere Welten werden dargeboten.
Don't panic! Die Schülerin fragt nach Unterstützung für ein Kreatives-Schreiben-Workshop, das sie zur Projektwoche plant. Don't panic! Alle werden was lernen, so viel ist sicher. Auf beiden Seiten, auf allen Seiten. Der nach Unterstützung Gefragte wird Schüler sein und hoffentlich unterstützend, die Schülerin wird lehren. Und dabei lernen. Wie überall. Don't panic!
Es trifft sich regelmäßig eine bunte Mischung aus Menschen, um zu lernen, um deutsch zu lernen, in der Bücherei. Spielerisch. Die GruppenleiterInnen lernen von den SchülerInnen ein für sie neues Spiel. Der vermeintlich literarisch gelehrte Gast lernt, dass Hirsche keine männlichen Rehe sind, die werden Rehböcke genannt, was ihm erst wieder einfällt, als es zusammen nachgeschaut wird. Das Reh gehört zu den Hirschen. Sein im Leben forstaktiver Großvater steht gerade von den Toten auf, um die Unwissenheit des Enkels zu schelten. Don't panic! Das Spiel wird gestört, die Störende darauf hingewiesen, dass sie gerade die Regeln gebrochen hat. Auch sie lernt. Don't panic! Spaß bereitet es immer. Aber es führt zu Hunger, nach Wissen und nach Essen. Um den zu stillen, geht es in den Supermarkt. Wo eine ältere Frau fragt, was sie ihren Enkeln mitbringen solle, die würden ja vegan leben. Don't panic! Alles außer tierische Produkte, bei vielen steht es drauf, ganz einfach. Es ist einfach, sie findet alles. Der erzürnte tote Großvater legt sich beruhigt wieder in sein Grab, beim Enkel ist doch nicht Hopfen und Malz verloren. Nur orientieren kann er sich nicht. Wer es gewohnt ist, sich zu verirren, ist es ebenso gewohnt, nach dem Weg zu fragen. Zwei junge Männer kennen ihn nicht, lernen ihn kennen. Sie suchen den Weg für den Fragenden auf ihren Smartphones, finden ihn, lernen ihn selbst und teilen ihn mit. Geben neues Wissen weiter. Die Rückkehr ist gesichert, er verfährt sich trotzdem. Mit Umwegen kommt er voran. Der Weg nach Magrathea steht frei. Seit Douglas Adams ihn öffnete. Für den Rückkehrenden, in die Literatur. Don't panic! Lernen macht Spaß, ist überlebenswichtig. Heute ist der interantionale Handtuchtag. Überlebenswichtig? Nun, ja: Wer es noch nicht wusste, hat es gerade gelernt. Sucht ein Handtuch und macht euch auf den Weg nach Magrathea, per Anhalter durch die Galaxis des Kopfes. Don't panic!

23. Mai: Strandkorbbesuche

In der Kindheit in Nordfriesland gab es auf dem Hof einen Strandkorb, die Nachbarn und Besucher setzten sich hinein. Im Sommer. Im Winter lag er unter einer Plane. Im Stadtpark steht er für alle zugänglich, in diesem Sommer, um den Stadtschreiber zu besuchen. Der Erste war ein Käfer, braun und mit schwarzem Kopf, rechtzeitig zum Mai. Er klingelte nach dem Stadtschreiber, der oben über dem Parkgeschehen saß und in den Tag träumte. Das Klingeln schrillte durch das Schreibatelier, er rannte los, die Treppen hinab, hinaus, zum Korb, zum Käfer, zum Plaudern mit dem ersten Besucher. Doch dem lag weniger an Worten als am Schatten. Durstig war er ebenfalls. Der Stadtschreiber reichte ihm die Hand, um ihn zu einer sicheren Unterkunft zu geleiten, wo es an Getränken nicht mangelte. Die Erde unter der Heckenrose war feucht vom Regen aus der letzten Nacht. Der Ort gefiel beiden, doch der Schreiber musste weiter, zurück zum Korb, denn die Klingel war verwaist. Wer ihn riefe, bliebe ungehört. Das gehöre sich nicht, sagte er zum Coleoptera. Und bevor sie endgültig voneinander Abschied nahmen, versprach der Samsakäfer dem Samsaverehrer, dass seine Kinder, Enkel und Urenkel in allen zukünftigen Maien die zukünftigen Schreibstipendiat*innen der Stadt besuchen werden. So wie er den ersten. Im Strandkorb. In dem schon jemand auf die Rückkehr des Schreibers wartete. Mit Geschichten über Bäume. Heckenrosen sind keine Bäume. Vielleicht hätte er dem Käfer lieber ein winziges Baumhaus bauen sollen, dachte der Baumgeschichtenerzählte, als er die Baumgeschichten hörte. Dann hätte es der Käfer im Winter wärmer. Bäume, überall Bäume. Und Häuser, Gebäude und Sandgruben. Von all dem berichtete der Nächste, der auf die Klingel drückte. Von der Firma Potenberg, die einst Löcher grub, jetzt Häuser und Wohnungen vermietet. Die Berg-Löcher-Assoziation fand einzig der Zuhörer komisch. Der Betonwürfel, in dem der Zuhörer sitze und schreibe, wurde ein Jahr nach der Landesgartenschau an das ehemalige Kalksandsteinwerk gebaut, erläuterte der Mann. Da war die Gartenschau schon zum Stadtpark umgebaut. Geschichte besteht aus Geschichten. Im Anbau sind die Gespräche derer zu hören, die nicht klingeln. Über Strandkörbe und Kindheitserinnerungen an die Ostsee, wie schön und gemütlich die Dinger doch seien, wie toll bei Sonnenschein, weil es dort kühler sei, wie rettend bei Regen, weil man geschützt ist, wie genial bei Sturm, weil es dort weniger windig sei. Manchmal mit Stadtschreiber, manchmal ohne, sofern es zu windig für Gespräche war. Die meisten lasen den Hinweis zum Stadtschreiber an der Klingel, rätselten, was der so mache: Geschichte oder Geschichten schreiben, Chronist oder Prosaist, oder doch ganz was anderes? Nicht alle klingelten, um zu fragen. Ihre Fragen wurden trotzdem gehört. Manchmal schlich der Funktionsgeheimnisträger wie ein Agent zum Strandkorb und erhellte die Insassen, indem er das Mysterium lüftete. Er wäre der Geist des Kalksandsteinwerks, der jeden Mai mit einem Käfer in der Hand aus dem See träte, um den Sommer literarisch zu begrüßen. Den bei Klingelstreichen ertappten Kindern gefiel zumeist die Erklärung, für den Mann, der ein Filmteam mitbrachte, wurde die Information lieber zurückgehalten. Er sei bereits zweimal da gewesen, um den Strandkorb und die Klingel zu begutachten. Sogar die Treppen zum Schreibatelier habe er erklommen. Weil der Strandkorb und die Klingel so schlecht zu entdecken seien im Park, rang sich der Besucher, nachdem er diese zweimal entdeckte, dazu durch, das Problem mitzuteilen. Ohne zu klingeln. Mit Aufnahmen für den Anekdotenschatz, dank des Filmteams. Das auch klingelte. Ein nettes Gespräch, mit Vorschlägen, die größtenteils schon zuvor organisiert waren. Die Hinweisfahne werde gerade hergestellt, und eine weitere Sitzgelegenheit für Extrabesucher am Strandkorb stehe im Atelier zur Verfügung. Ob noch ein Tisch an den Korb gestellt werde, blieb das Geheimnis des Stadtschreibers, das er anders als das um seine Funktion im Ort für sich behielt. Manche muss man bewahren, um die Spannung und Neugier der Besucher zu halten. Dieser war zufrieden, hoffentlich, nett war er auf jeden Fall. So wie seine Begleiter. Und beim nächsten Mal werde er auf den Klingelknopf drücken. Hoffentlich. Bei Sonnenschein, Regen oder Wind. Egal, für Gespräche und Kennenlernen ist jedes Wetter gut. Für alle, die am Strandkorb vorbeikommen, kurz innehalten, reden, Bier trinken oder den Stadtschreiber direkt besuchten wollen. Er kommt, auch bei einmaligem Klingeln, obwohl zweimal auf dem Schild steht, wie zwei Skater bereits festgestellt haben. Wenn kein Absperrgitter im Korb hängt, ist er in der Nähe, den ganzen Sommer über. Im Winter wird der Strandkorb vermutlich unter einer Plane liegen. Wie damals der auf dem Hof in Nordfriesland. Bis im Mai der Geist des Kalksandsteinwerks wieder mit einem Käfer in der Hand aus dem See treten wird, um den Sommer literarisch zu begrüßen.

21. Mai: Frauen bäumen sich auf

Während das HB-Männchen auf allen Mattscheiben regelmäßig cholerisch in die Luft ging, war Frau HB in aller Ruhe gelandet. In den USA, in Chile, in Brasilien, in Südamerika, auf der ganzen Welt. Ohne viel Rauch, ohne Aufhebens hatte sie die qualmenden Männer geschäftlich ausgebootet, bevor die sich die Erste anzünden konnten. Allende wurde ermordet, Flughäfen zerstört, Länder neu geordnet, und Krankheiten brachen aus, sie hob weiter ab. Immer schneller, als die Männer. Davon erzählt sie, noch heute, ein wenig stolz, ein wenig spitzbübisch. Ein lustiges Wort für diese Frau, so unpassend, trotzdem zutreffend. Bei einer Frau, die selbstbestimmt lebt, lebte, die schrieb, vorlas, auf Bühnen spielte, vor allem up platt. Das sie sich nicht madig machen ließ. Platt ut Freesland, wo se grot worn. Bevor sie zur Lebenstour aufbrach. Bei ihr ging alles von selbst, noch bevor das HB-Männchen eine schmökte, um zur Ruhe zu kommen. Da war sie schon weg, nach dem Studium, in der ganzen Welt. Jetzt hier, eine ältere Dame, die viel zu erzählen hat. Von früher, von ihrer Art des Umgangs mit dem anderen Geschlecht. Geschichten, auch von bekannten Männern, die sie traf. Männer trifft es häufig. Nicht nur in der Nacht. Mörderisch. Vor allem Frauen sterben, werden von Männern gemeuchelt, regional und überregional, und sie werden wiederum überführt. Von Frauen. Zielsicher. Gleichfalls dabei gelegentlich gemeuchelt. Von Frauen. In der Ladies Crime Night. Sie werden präsentiert. Die Morde und die Männer. Von Frauen. Tödlich und unterhaltsam. Vereinte Schwestern, die in Prosa morden. Überall. Auch vor Ort. Regelmäßig. In der Ladies Crime Night. Im Sound des Kriminal Tangos. Eine Sopranistin bäumt sich auf, im Nachbarort: Tango Lírico Trio. Die Sonne geht unter, eine Frau schießt mit gezielten Tönen aus ihrer Querflöte auf den Gitarristen. Er wehrt die Sound-Salven ab, mit eigenen Akkorden. Vor begeistertem Publikum. Schaulustig und hörlustig. Südamerikanisch, der HB-Frau hätte es gefallen. Kein Männchen raucht, nur einer bewegt sich, und die Sopranistin lässt ihn tanzen.

High noon vor dem Museum, Kinder tanzen, keinen Tango. Keine Morde, nur Blasmusik. Überall Schlangen. Ungefährlich. Väter stehen mürrisch um Essen und Ballonkraken an. Mütter sitzen um den Kirmes herum, plaudern und applaudieren ihren Kindern, die von dem Elektroreitbullen fallen. Jungen wie Mädchen: Yeah Haw! Die Zukunft feiert die Gegenwart. Attraktionen mit Feuerwehr, DLRG und Rettungssanitäter*innen. Museumsfest bei Sonnenschein. Alle sind dabei, gleichverteilt, gleichberechtigt. Bei Trompetensound, genderneutral, zwei Frauen bäumen sich auf und blasen dem Kapellmeister den Takt. Die Sonne scheint, der Mond lässt auf sich warten.

19. Mai: Männer unter Bäumen

Storyman steht unter den Bäumen vor dem Kulturwerk. Morgens. Er wartet. Auf Mammutman. Ein Wagen hält kurz neben der Birke, eine Hand winkt, der Wagen fährt weiter, parkt ein. Mammutman steigt aus, hager und weißbärtig. Er wolle Storyman seine Baumkinder zeigen, im Park, in der Stadt, im Landkreis. Er geht vor, durch den Park, ins Gebüsch, zeigt auf ein im Blätterwald verstecktes Minibäumchen.
„Weißt du was das ist?“
„Ein Nadelbaum?“ Storyman zieht das Ende seiner Antwort zur Frage empor und zuckt lapidar mit den Schultern.
„Nicht irgendeiner“, erwidert Mammutman unwirsch. „Sondern ein Sequoiadendron giganteum.“
„Aha!“ Storyman besieht staunend den Mini-Giganteum. „Ziemlich klein für einen Mammutbaum.“
„Den habe ich ja auch erst vor kurzem gepflanzt.“ Mammutman wirft Storyman einen skeptischen Blick zu. „Aber woher kennst du den Namen …?“ Er zeigt auf den Mini-Nadelbaum.
„Mein Roman handelt unter anderem von Sequoia, dem Erfinder der Cherokee-Schrift“, lautet die Erklärung, die Storyman ausreicht. Er lacht erfreut auf.
„Ha, dann haben wir ja schon eine Verbindung.“ Ein zufriedenes Nicken, er zieht seinen Begleiter aus dem Gebüsch und deutet mit dem Daumen hinter sich. „Das ist ein General Sherman.“
Diesmal lacht Storyman. „Ha, wie makaber. Ein Indianderkriege-General als Unterart des indigenen Erfinders eines Widerstandswerkzeugs, der Cherokee-Schrift.“
Der Kommentar bleibt ohne Reaktion. Mammutman hat dafür keine Zeit. Er habe noch viel vor, es gebe noch viel zu zeigen. Sagt er und läuft weiter, weist auf andere Bäume gleicher und anderer Art, eilt an ihnen vorbei, durch das Arboretum und wieder hinaus, aus dem Park, zu seinem Wagen, der auf dem Platz ohne Bäume steht. Er startet durch, um alles zu zeigen. Die Verstorbenen, die er als Geisterbäume bezeichnet, die Gefällten vor einer Grube für einen Neubau, Ginkgo-Stümpfe hinter Gittern, und die von ihm Gepflanzten. Mit und ohne Auftrag, legal und illegal, Seit vierzig Jahren ist er in eigener Arbormission unterwegs. Ein Baum-Guerillero. An der Autobahn. Im Umland. Im Landkreis. Überall. Apfelbäume, Eichen, Maronen, Blutbuchen, noch mehr General Shermans. Und ein Baum für eine Schule. Ein Sequoiadendron giganteum.
Irgendwo in einem Wald stoppt Mammutman und hält kurz inne. Neben dem Waldpfad leuchtet in einem eingezäunten Bereich hellgrün ein niedriges Blättermeer vor kargen Stämmen hoher Kiefern.
„Hier, haben wir aufgeforstet“, beteuert Mammutman mit väterlichem Stolz und deutet ins helle Grün. „Also, was wir angepflanzt haben, sieht man nicht mehr so richtig, weil andere Bäume wild darüber gewachsen sind. Aber da drunter ist unsere Aufforstung.“
„Aha.“ Mehr fällt Storyman zu der Information nicht ein. Der ideale Moment für ein Foto.
„He, seid ihr Förster?“, brüllt es von der Seite und ein Mann in abgenutztem Torsten-Sträter-Look hält auf sie zu. „Ich meine, weil ihr hier mit dem Wagen rein seid. Das dürfen ja nur Förster.“
„Nein“, widerspricht Mammutman ehrlich und etwas verstört.
„Nicht? Ist einer von euch etwa der Marlboroman?“ Der Mann zieht eine abgerauchte Kippe aus der Hosentasche, hält sie anklagend in die Luft und tippt mit ihr auf die Motorhaube des Wagens. „Wer hier mit 'ner Karre durchfährt, obwohl er das nicht darf, weil er kein Förster ist, der ist sicher der Marlboroman.“
„Hä?“ Einigkeit im Unverständnis offenbart sich synchron.
„Na, der Marlboroman, der hier seine Kippen immer hinwirft, Marlboro-Mentol, um genau zu sein.
Jeden Tag finde ich die. Den Typen suche ich“, behauptet das abgenutzte Torsten-Sträter-Double und wedelt mit seinem Beweismittel vor den Nasen von Mammut- und Storyman hin und her. „Um ihm mal ordentlich die Meinung zu geigen. … Raucht einer von euch?“ „Nein.“ Erneute Einigkeit offenbart sich synchron. Diesmal eingeschüchtert.
„Ach so“, verpufft der Verdacht des Mannes, enttäuscht, niemanden anraunzen zu dürfen. „Und was macht ihr dann hier?“ Die Kippe kreiselt in der Hand des Mannes durch den dichten Wald.
„Ich wollte Storyman nur zeigen, was wir aufgeforstet haben“, antwortet Mammutman zögerlich.
„Was?“, hakt der Sträterverschnitt nach und steckt die Beweiskippe zurück in die Hosentasche.
„Das!“ Mammutmans Finger deutet auf seine mit diesen Fingern geschaffene Aufforstung. „Na, ja, man sieht das nicht so genau. Wegen der Bäu...“
„Also doch Förster“, unterbricht ihn der nun kippenlose Mann. „Dann sind wir ja aus der gleichen Branche.“ Nachdem seine Aussage einzig überraschte Blicke ohne Worte auslöst, spricht er einfach weiter. „Na, ich fälle die Dinger und baue daraus Blockhütten.“ Mammutman ist anzusehen, dass er ein anderes Verständnis von Gleichheit innerhalb von Branchen vertritt. „Also, so voll nachhaltiges Bauen, nicht wahr?“ Das Argument der Nachhaltigkeit will Mammutman ebenfalls nicht nachhaltig überzeugen. Er zieht eine ablehnende Miene, starrt Lumberjack-Man feindselig an.“Und das da sind deine Bäume?“ Endlich eine Frage, die ihn wieder zur Besinnung bringt.
„Ja, Mammutbäume.“
„Wo?“
„Na, unter den anderen.“
„Aha!“ Lumberjack- und Mammutman stehen nebeneinader am Zaun und blicken durch den breiten Maschendraht. „Mammutbaum also?!“
„Ja“, bestätigt Mammutman stolz, wendet sich um, geht zum Auto und reißt die Fahrertür auf. „Gut, dass du da bist.“ Kramt eine winzige Pflanze im Topf und sein Handy heraus. „Ich wollte unserem Storyman einen Sequoiadendron giganteum schenken. Kannst du uns fotografieren?“ Er reicht dem Lumberjack-Man das Telefon und Storyman die Pflanze.
„Klar, stellt euch mal neben einander.“ Storyman hält ängstlich den Micro-Mammutbaum zwischen seinen Händen, er wirkt so verletzlich. Mammutman steht erfürchtig neben ihm. Klick. „So: Fertig.“
„Wusstet Ihr, dass man Fichtentriebe essen kann?“ Mammutman nimmt sein Handy zurück und steckt es ein.
„Ja.“ Erneute Synchronität, diesmal zwischen Lumberjack- und Storyman. Mammutman ignoriert sie. Er zieht die beiden Männer mit sich durch ein Gebüsch zu ein paar Nadelbäumen.
„Da sind sicher Zecken“, warnt Lumberjack-Man.
„Und leckere Fichtentriebe, hier“, sagt Mammutman, zupft drei Triebe ab und reicht sie weiter. „Die sind gesund. Etwas säuerlich, aber gut für die Verdauung.“
„Was machen Sie denn da?“, fragt die Stimme eines Mannes, der seinen Hund auf dem Waldpfad an der offenen Tür des im Weg stehenden Wagns vorbeiführt. „Sind Sie Förster?“
„Nein, wir essen Fichtentriebe“, erklärt Mammutman, zupft noch einen Trieb ab, springt aus dem Gebüsch und hält dem Dogman seine Beute hin. „Möchten Sie auch?“
„Danke“, bedankt sich Dogman und beißt genüsslich von den Fichtennadeln ab. „Das ist doch ein Sequoiadendron giganteum, oder?“ Mit dem Abbissverbliebenen zeigt er auf den Topf in Storymans Händen und wirft sich den Nadelrest in den Mund.
„Sie kennen den?“ Mammutman sieht begeistert von der kleinen Topfpflanze zu Dogman, der beim Nadelkauen nickt.
„Sicher, die brauchen Brände, um sich zu vermehren.“ Ein Gespräch unter Experten beginnt, außen vor: Lumberjack- und Storyman.
„Ich muss dann mal weiter“, sagt der eine und geht weiter. Der andere setzt sich in den Wagen und wartet auf das Weiterfahren. Das bald geschieht. Denn es gibt noch viel zu zeigen. Mammutmans Baumfamilie. Seine Baumkinder. So viele. In zu wenig Zeit. Weiter. Durch den Wald, durch die Welt. Apfelbäume, Eichen, Maronen, Blutbuchen und noch mehr Sequoiadendron giganteum. Ein privates Arboretum aus weit verstreuten Bäumen, verteilt über die Stadt, im Umland, im Landkreis, der Wald des Mammutman.
Die Schatten zeigen weit gen Nordosten, Storyman wird unter der Birke am Kulturwerk abgesetzt.
Mit Gedanken an Bäume, Informationen über Bäume und einem zukünftigen Topfriesen. Storymans Baumbestand.
Frisch gewässert steht er auf dem Schreibtisch. Eine Geschichte wächst zwischen den Nadeln, grün, unten vor dem Fenster spielen Männer unter den Birken Boule, andere sitzen auf den Bänken und trinken Bier, wieder andere ziehen Bollerwagen durch die Gegend, an den Buchen vorbei den Weg enlang, Vatertag, ein Mann führt seinen Hund spazieren, querfeldein. Männer unter Bäumen.

16. Mai: Am Klingel-Vertreter-Tag lädt der Stadtschreiber ein

Schon auf dem Weg zum Strandkorb in den Park ist klar, es ist kein Strandkorbwetter. Einfach zu norddeutsch. Wolken, Wind, Regen, kurzer Sonnenschein. Nur Schein, dann wieder Windsein und Regen. Der Strandkorb ist trotzdem geöffnet, kurz sitzt der Stadtschreiber darin, der Wind hat eine Lücke in die Wolken geweht und die Sonne herbeigepustet. Eine Jacke bläht sich auf, eine Böe schiebt in den Strandkorb eine Wolke aus Stoff. Darin eine lächelnde Frau mit zerzaustem Haar, die den Stadtschreiber sucht. Die ihn bereits auf der Begrüßungsfeier erlebt habe. Teilt sie mit. Weshalb sie ihn besuchen wolle. Dienstag ist Bouletag im Park, sie spiele regelmäßig Boule im Park. Heute ist Windtag im Park, sie setzt sich neben den Statdschreiber in den Strandkorb. Welch Freude, ihn dort anzutreffen. Am Sonntag war sie auch schon da gewesen, im Park. Sonntag sei auch Bouletag, sagt sie. Am Sonntag schien die Sonne, ohne viel Wind. Da spielte sie Boule. Ein Luftstoß spielt im Wettertakt mit der Strandkorbplane einen Trommelwirbel. Die Besucherin finde es sehr schön, dass in Norderstedt kulturell immer mehr los sei und dass die Stadt in diesem Sommer seinen Schreiber hier in den Korb gesetzt habe. Beteuert sie. Einzig der Sommer fehle, heute. Mit den Einträgen im literarischen Arbeitstagebuch könne sie jedoch nicht so viel anfangen, bedauert die lächelnde Frau, aber ihrer Freundin gefallen sie. Ein paar Worte über Kunst und Gefallen von Kunst wechseln die Gesprächspartner, dann muss die Frau weiter. Es habe sie sehr gefreut, den Stadtschreiber im Korb anzutreffen, sie werde auf jeden Fall wieder im Park und im Strandkorb vorbeischauen. Der richtige Zeitpunkt für einen Werbeblock, denkt sich der Stadtschreiber und lädt die Frau zum Abschied zur ersten Veranstaltung der Reihe „Der Stadtschreiber lädt ein“ ein. Am 30.05. bringe der mehrfach preisgekrönte Hamburger Schriftsteller Lou A. Probsthayn seine bizarr-heiteren Kurzgeschichten zu „Krieg und Demenz“ für das Publikum in Norderstedt mit, wirbt der einladende Stadtschreiber, und die Angeworbene lässt sich bewerben. Das sei ja eine komische Kombination, Krieg und Demenz, erwidert sie neugierig. Ja, überraschend komisch wird es werden, wird ihr versprochen. Eine Böe weht Sandwolken über den Platz, die Frau verlässt den Park, der Stadtschreiber den Strandkorb. Sie werden sich wiedersehen. Gewiss. Er lässt die Klingel im Korb, zieht sich zurück zum Schreiben in sein Schreib-Atelier. Dort oben mit Blick auf den See und den Strandkorb hört er durch das offene Fenster die Gespräche der Windbeständigen im Park. Einige nutzen den Strandkorb, machen es sich in ihm bequem, reden über das Wetter, wie schön so ein Strandkorb sei, wie toll, dass er für den Stadtschreiber dorthingestellt wurde. Zwei junge Männer sitzen windgeschützt, trinken Bier. Ein Passant kommt auf sie zu und fragt, wer von ihnen der Stadtschreiber sei. Keiner, aber sie können ihn herbeiklingeln, bieten die beiden Stadtschreiber-Klingel-Vertreter an und weisen auf die Klingel hin. Nicht nötig, lehnt der Passant das Angebot höflich ab, es sei ohnehin zu windig für Gespräche, und geht weiter, bevor der Stadtschreiber zur Tür geeilt ist. Ob die da unten wohl wissen, dass er sie hören kann, fragt er sich, als er an der Tür steht und aus dem Fenster guckt, zu den beiden Männern, die gerade ihre Bierdosen in den Müllereimer werfen, um Feierabend zu machen. Ordentlich sind sie ja, lobenswert. Wobei? Gerade als der Stadtschreiber über Weißblech und Mehrweg nachdenkt und sich zurück an seinen Schreib-Atelier-Platz setzt, klingelt es. Sofort springt er wieder auf, freut sich über die vermeintliche Rückkehr der beiden Klingel-Vertreter, um mit ihnen über die Wahl von Getränkeverpackungen zu reden. Auf dem Weg die Treppe hinunter, sinkt der Belehrungswille, wird von der peinlichen Klugscheißer-Selbsteinschätzung verdrängt. Unten stehen sie, die beiden, nicht die Stadtschreiber-Klingel-Vertreter, sondern zwei Kinder, ein Mädchen auf einem Fahrrad und ein Junge mit einem Tretroller. Oh, die Klingel funktioniert ja, wundern sie sich. Offenkundig, bestätigt der Stadtschreiber grinsend. Sogar ohne Kabel, staunen sie und fragen, was denn so ein Stadtstreber mache. Stadtschreiber, verbessert der Stadtschreiber und kommt sich wie ein Klugscheißer vor. Der sei von der Stadt Norderstedt eingeladen worden, um hier im Strandkorb oder da oben im Atelier zu sitzen und über das zu schreiben, was er erlebt. Über sie zum Beispiel. Cool, besser als Stadtstreber, erwidern sie und tretrollen und radeln davon. Der Streber weiß es jetzt besser, heute ist der perfekte Strandkorbwettertag.

14. Mai 2023: Auswahltage

Markt im Stadtpark, drei Tage, ein Wochenende lang. Auswahl, Auslagen, Möglichkeiten. Eis, Boule, Jobbörse, Pommes, Kunsthandwerk, Sonnenschein, Musik, Gimmicks, Thai Street Food, Verweilen im Grünen, Tanzen, Autos … „Unser Deutschlandmärchen“, beim Stadtschreiber. Den gibt’s auch. Im Angebot, im Strandkorb. Vorm Musikschulkubus. Zum Treffen oder Herbeiklingeln. Zum Gespräch. Auswahl und Möglichkeiten. Begegnungen als Stadtschreiber-Give-away. Zum Mitnehmen. Zurückgeben. An Norderstedt. Im Park. In Sichtweite, lesend. Bücher gibt’s auch. Im Strandkorb, ausgeliehen, in der Stadtbücherei, mit Pflicht zur Rückgabe. Heute: Dinçer Güçyeters Deutschlandmärchen, eine Selbsterzählung, eine Kindheit ohne große Auswahl, bei eigener Wahl des Weges. Empfehlenswert. Preisgekrönt. Verdientermaßen. Ein anderes Deutschlandmärchen, das zur Auswahl steht, bei dem jeder und jede seine eigene Wahl treffen darf, bietet ein anderer Markt. Nicht im Stadtpark. Bald im Rathaus. Am Abend versammelt man sich, um über die politischen Marktergebnisse zu diskutieren, die Ausgewählten zu sortieren und die Zukunft zu koordinieren. Alle dürfen dabei sein, alle dürfen teilhaben, keine Pflicht, sondern Möglichkeit. Kommunale Rückgabe erst in fünf Jahren. Unser Deutschlandmärchen. Und dass die Gefäße für Totenasche den gleichen Begriff tragen wie die der politischen Ausrichtungstage, ist nur ein morbider Sprachwitz. Tote haben keine Wahl. Die Freiheit stirbt mit. Das Leben birgt sie, die Auswahltage. Sofern sie angeboten werden.

11. Mai 2023: Kunst verspricht Dasein - Chaverim

Ich bin da, als Künstler eingeladen, in der Stadt, in Norderstedt. Als Freund begrüßt, als literarisches Kunstwerk unterwegs, im allgemeinen Dasein. Stadtschreiber im öffentlichen Raum. Bei kreativen Treffen. Hier, im literarischen Tagebuch. Zeitlos. Unter Freunden. In der Kunst. Im Gewesensein, Bei Franz Marc, das Leben ist ein Traum. Sagte der Vortragende, im Festsaal am Falkenberg. War es, traumhaft. Als „Nasser Reiter“ auf dem Drahtesel herbeigeritten, eilends Wasserstraßen auf Teer durchkreuzt, um da zu sein. Dabei zu sein. Azzurro war gestern, der blaue Reiter weit davor. Unter Freunden. Beeindruckend. Bis heute. Im Stadtmuseum. Die Fotokunst von Oranit Ben Zimra. Die Sonne scheint. Unsterblich. Wie die abgelichtete Freundschaft. Bei der Ausstellungseröffnung. Es lebe die Freundschaft. Im Dasein, im Dabeisein, im Hiersein, im Sein. In Bildern. Überlebensgroß. Chaverim. Augenblicke auf Abgrenzungszäunen. Warm auf kalten Stahlstreben. Der Museumssaal füllt sich, mit Menschen und mit Freundschaftsbekundungen. Beobachtet von den achtundvierzig Augenpaaren, befreundete Paare auf Fotoleinwand, innige Momente des Beisammenseins. In Israel und in Norderstedt. Chaverim. Befreundete Menschenpaare schauen die Besucher an. Allseits. Ein Freund, ein guter Freund, erklingt der Schlager vergangener Zeiten, aus jüdisch-deutscher Feder, gesungen unter Stahlhelmen an der Front, was kann das Lied dafür, Kunst bis heute, im Museum auf hebräisch dargeboten, Begleitet vom Publikum. Der „Blaue Reiter“ starb an der Front wie sein Freund August Macke, ehe das Lied erdacht wurde. Millionenfach gehört, Freunde starben, allseits. Immer. Jetzt. Eine ältere Dame möchte ein Treffen, plaudern mit mir, aus ihrem spannenden Leben erzählen, Geschichten von einst, gern up platt, denn Sprache ist Freundschaft, ist Beisammensein, wie am Nachmittag beim Plattdüütsch-Kring. Lauter Freunde, die miteinander reden, up platt. Chaverim. Werde anrufen, bei der netten älteren Dame, um einen Besuch zu verabreden. Bei ihr. Zum Klönen. Över fröher, över hüüt, över se. Freundschaft, Geschichten und Kunst bleiben. Wo Leben ist, ist immer auch ein Traum. Dann leben sie andernorts weiter. Überall, die Kunst, die Freundschaft, das Zwischenmenschliche, das Dasein, die Erzählungen und der Friede. Schalom Chaverim.

9. Mai 2023: Sportfest, Stadtpark und Wirtschaft ohne Wachstum im Strandkorb

Alles an einem Ort, ohne Bewegung, bewegend, rasch abwechselnd, hin und her, Stille. Täglich im Park treffen sich die Sportler der Stadt, bewegen sich, joggen, spielen Minigolf, trimmen sich auf dem Trimm-Dich-Parcours. Freizeitbewegungen, denen umher die Sonnenhungrigen zuschauen. Am Sonntag zeigten die Vereinssportler am Parkbad ihre Bewegungen, und die Zuschauer schauten zu, machten mit, tranken, genossen den Tag. Ich zwischendrin, bis mich die Täglichen aus dem Park zurück zu ihren Bewegungen lockten. Drachen stiegen über den Köpfen auf, angeleint an Fäden, rasselnd, vom Wind bewegt. Im Park. Bewegend im Alltag. Niko Paech lud ein, über Wirtschaft und
Wachstum zu reden. In der Stadtbücherei über Wirtschaft ohne Wachstum zu diskutieren, mit dem bewegten Publikum. Über die Zukunft zu sprechen, die Zukunft in der Welt und in Norderstedt. Über die Chance auf eine Zukunft. Nur mit Bewegung von allen. Natürlich: bei möglichst wenig motorisierter Bewegung. Ganz ohne kann ich nun im Strandkorb im Park sitzen. Einzig der Kopf bleibt nicht stehen, will weiter, sich bewegen. Im Strandkorb darf er es, oben im Schreib-Atelier tut er es, jetzt, bis die Klingel ertönt. Die Klingel der Sonnenhungrigen des Alltags, am Strandkorb, die Klingel, die mich ruft, zu ihnen, hinunter, an meinen Strandkorb, zum Plaudern, zum Treffen, zum gemeinsamen Gedankenbewegen. Im Stadtpark.

8. Mai 2023: 5.5.23 - Für Benjamin Lebert verwandele ich mich in Adriano Celentano

Nachmittags, spät dran, Benjamin Lebert wird gleich lesen. In der Stadtbücherei, im Zentrum, ein Treffen, ein Zuhören, ein Kennenlernen. Knapp drei Kilometer entfernt. Avanti, sbrigati, Huug! Los, beeile dich! Vorfreude treibt mich an. Azzurro gibt das Tempo vor. Die Sonne beißt sich immer wieder durch die Wolken, lässt den Sommer mich erwarten, den Sommer in Norderstedt. Ich pfeife fröhlich draufzu, schneller und schneller. Meine Beine halten Schritt. Auf dem Zaun einer Koppel mit Rindern sitzt ein Star und stimmt für ein paar Takte in die Melodie mit ein. Cerco l'estate tutto l'anno e all'improvviso eccola qua. Die frühsommergrünen Felder schneidet die Schleswig-Holstein- Straße ab, trennt sie vom menschbewohnten Raum. Von Straßen und Gebäuden. Verkehrsberuhigte Zone. Alle Stare schweigen, niemand ist unterwegs, kein Auto, kein Mensch, e sono solo quassù in città. Ich eile hier oben durch die Stadt, weiter, allein, pronto, pronto. Plötzlich strahlt neben mir ein Verkehrswarnhinweis auf: 42. In einer Dreißigerzone. Zu schnell, zu Fuß. Wie kann das sein? Kann sein, sagt die Geschwindigkeitsanzeige, bestätigt ihre Ausage: 42. Vor einer Schule, gut, dass keine Kinder unterwegs sind, Gefahrenlage: Ich hätte sie umgerannt. 42 wiederholt die Anzeige drohend, die Antwort auf alle Fragen. Kein Abbremsen jetzt, sonst erreiche ich Magrathea nicht rechtzeitig, Milliways hat schon zu und Benjamin liest dann für alle anderen, nur nicht für mich. Da pfeift was über den Dächern, kein Star. Sento fischiare sopra i tetti, un aeroplano che se ne va. Ein Flugzeug fliegt über mich hinweg, es ist schneller als ich. Hinter mir leuchtet vermutlich das Schild für den Jumbojet. Wie für mich. 50 hab' ich drauf, als ich ankomme, in der Rathausallee. Vor der Tür zur Bibliothek wartet Dietmar Drews, erwartet mich. Ich bremse ab, auf null. Nun startet Benjamin durch, ich darf sitzen, zuhören, vorgelesen bekommen, genießen. So wie damals, als Kind. Come facevo da bambino. Benjamin Lebert liest aus seinem aktuellen Jugendbuch. Ein Genuss, wie der Tag. Weil das eigene Kind auf ihn wartet, komme er diesmal nicht mit, kein Großer Weißer Hase, der mit uns einen lüpft. Wie er sagt, als er geht. Davon. Zur U-Bahn. Er rauscht ab nach Fuhlsbüttel, schneller als 42. Und wir gehen mit Dietmar in die Hopfenliebe, essen, lüpfen und schnacken, über Norderstedt, Kneipen, Musik, Filme und Bücher, über gute Italiener, Adriano Celentano, meinen Freund Harvey und Per Anhalter durch die Galaxis, Kindheitserinnerungen und den ganzen Rest. Bis die Müdigkeit alles besiegt. Azzurro, il pomeriggio è troppo azzurro e lungo per me. Heimweg in Norderstedt, nach Glashütte. Hände aus Samt begleiten mich. Gemächlich. Ohne Warnhinweis.

5. Mai 2023: In Norderstedt aufgeschlagen

Stadtschreiber eingeschlagen. In Norderstedt. An vielen Orten in der Stadt sind schon jetzt einige Gedankensplitter gefunden worden. Im Stadtpark, auf dem Markt, in Glashütte, im Rathaus. Und gestern Abend ein riesiger in der Stadtbücherei. Sofort hat sich eine Menge an Schaulustigen dort versammelt, um den Fund zu begutachten. Fest steht, er ist größer und schwerer als alles, was im benachbarten Elmshorn vom Himmel fiel. Weil eine Jury vor dem Aufschlag die Flugbahn des Autors eingehend studiert und bewertet hatte, kam es zu keinen nennenswerten Karambolagen mit größeren Schäden. Vielmehr bestaunten die Norderstedter ihren Fund und die Gedankensplitter, die er mitgebracht hat. Vertreter der Presse waren ebenfalls zugegen, um das Ereignis festzuhalten. Der Stadtschreiber glüht noch von den einschlagenden Eindrücken vor Ort. In den nächsten Monaten bis August wird er in einem Strandkorb vor dem Musikschulkubus im Stadtpark öffentlich ausgestellt sein, zugänglich für jedermann und -frau. Sehenswert und bequatschenswert.

2. Mai 2023: Vor jeder Ankunft steht ein Aufbruch

Vor jeder Ankunft steht ein Aufbruch und ein Abschied, das liegt in der Natur der Sache. Egal, wie schön der Gedanke an einen neuen Ort ist, erst einmal verlässt man einen anderen, um am neuen ankommen zu können. Umwege und Zwischenstationen liegen auf dem Weg. Können auf dem Weg liegen. Vielleicht nicht direkt, aber direkt eindrucksvoll und schön. Auf dem Weg von Essen nach Norderstedt liegt Leipzig. Logisch. Logisch? Natürlich logisch. Es ist Buchmessezeit, die schönste Buchmesse der Welt lädt ein, entschuldige Frankfurt. Entschuldige Norderstedt. Deshalb trifft Euer Stadtschreiber ein paar Tage später im Norden ein, in Norderstedt. Aber dann: Stadtschreiberzeit, ein Abenteuer. Für vier Monate. Menschen, Geschichten, Begegnungen, Stadtpark, Wasser, Schreiben, Wasserski, Kultur, Lesungen, neue Prosa, Minigolf, Veranstaltungen, Natur, Leben, Miterleben, Literatur, Märkte, Sonnenschein, Herumgeirre, Treibenlassen, Genuss. Ankommen und gucken, was geschehen wird. Ok bi Schietwedder.

Der erste Kontakt, die Begrüßungsfeier am 4.5. um 19:30 Uhr in der Bücherei in Norderstedt-Mitte.Die Spannung steigt, die Nervosität ebenso. Ein paar letzte Augenblicke in Leipzig, dann … ohne weitere Umwege: Moin Norderstedt.